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Die heilenden Hände von Bad Salzdetfurth

Die Yogalehrerin und vierfache Mutter Rose Sanyang-Hill fertigte einst U-Bahnen ab und reiste dann über Katmandu und Kansas um die Welt. Heute lebt sie in Bremen und hilft bei Selbsterfahrungen. Ein Porträt von  ■ Tim Ingold

„Ich hatte immer einen sehr hohen Anspruch an mein Leben: so authentisch wie möglich zu sein, meine Wahrheit zu finden. Ich habe immer gesucht. Ich bin mit dieser Suche schon auf die Welt gekommen.“ Ihre Suche führte die 1952 geborene Rose Sanyang-Hill von Bad Salzdetfurth über Indien und Nordamerika nach Bremen. Aber fangen wir doch von vorne an. Zunächst wollte ich mir von Rose nur ab und an eine Heilmassage verpassen lassen. Aber nach und nach trat eine außergewöhnliche Biographie zutage, die es, finde ich, wert ist, unseren LeserInnen mitgeteilt zu werden. Bei mehreren Tassen Tee setzte ich mich noch einmal in ihren Yogaraum und sprach mit ihr zwischen Springbrunnen, indischen Stoffen und indianischen Steinen ausführlich über ihr Leben und ihre Berufung.

„Ich komme aus einer sehr chaotischen Familie“, sagt sie. „Wir wohnten ja in einer Kleinstadt, und ich war unehelich, was in den 50ern in diesem Milieu sehr ungewöhnlich war. Schon als Kind habe ich mich als alte Frau gefühlt. Ich musste viel Verantwortung übernehmen, auch für die Eltern. Meine Mutter hatte eine steife Hüfte, und ich wurde immer gerufen, wenn sie Schmerzen hatte – ich wusste intuitiv, wo man massieren muss, damit der Schmerz weggeht. Da war ich etwa fünf oder sechs Jahre alt.“

Als ich anmerke, dass eine solche Begabung doch recht außergewöhnlich für ein so junges Kind sei, kommt ein entschiedenes „nein“ zurück: „Viele Kinder haben intuitive oder spirituelle Begabungen, das wird ihnen nur abtrainiert. Sie sollen sich ausschließlich auf ihren Kopf beziehen, und dann fangen sie an zu leiden. Kinder möchten gerne auch in ihrer Spiritualität erkannt werden.“ Die intuitive Massage wendet Rose auch heute noch an. Sie erspürt tastend oder streichelnd die Blockaden im Körper und streicht sie aus. Diese Art der Massage hat sie nirgends gelernt, sie hat sie im Laufe ihres Lebens lediglich autodidaktisch erweitert und verfeinert.

Bis sie zwölf war, wohnte Rose bei ihrem Vater, wurde dann aber zu ihrer Mutter nach Bremen geschickt; die wollte sie aber schnell wieder loswerden, weil Rose sich nicht mit dem neuen Mann verstand. So kam sie mit vierzehn in eine Schwesternvorschule und machte eine Ausbildung zur Hauswirtschaftsgehilfin. „Ich habe dann auf Drängen meiner Mutter viel zu früh geheiratet, vermutlich wollte sie mir das ersparen, was sie erlebt hatte. Ich war gerade achtzehn. Mit meinem Mann bin ich dann nach Berlin gezogen und habe da eine Ausbildung zur staatlich geprüften U-Bahn-Zugabfertigerin gemacht“, lacht sie. „,Bahnhof Zoo, einsteigen bitte und zuuurückbleiben!', hab ich immer gesagt.“

Es folgte eine schwere Zeit für Rose. Die monotone Arbeit im Schichtdienst machte sie depressiv. Sie verliebte sich in einen Franzosen, folgte ihm nach Südfrankreich, ließ sich kurz darauf scheiden. Doch die Liebesbeziehung war alles andere als glücklich. Nach einem Jahr kehrte sie nach Bremen zurück, verzweifelter und orientierungsloser als jemals zuvor. „Ich bin durch die Hölle gegangen“, sagt sie über diese Zeit. „Und dann habe ich kurzerhand entschieden: Ich entsage der Welt, ich werde spirituell!“ Im Bremer Viertel sah sie kurze Zeit darauf ein Plakat, das für einen Vortrag über Yoga warb. „Ich hatte sofort das Gefühl: das ist es! Im Yoga sagt man: Wenn die Zeit reif ist, dann kommt auch ein Lehrer. Und das war bei mir auch immer so.“

Als Assistentin reiste sie mit einem philippinischen Yogameister herum, zunächst nach Holland und dann nach Italien. Dort traf sie die Entscheidung, selbst Yogalehrerin zu werden. Sie arbeitete in einem Naturkostladen bei Venedig, bis sie das Geld für ein Flugticket nach Indien zusammengespart hatte. „Als ich in Indien ankam, hatte ich das Gefühl, ich komme nach Hause; mir war alles vertraut. Ich war sehr glücklich. In Katmandu bin ich gleich in einen Yogatempel marschiert und habe gesagt: Guten Tag, ich möchte gerne bei Ihnen ausgebildet werden.“

Mit 26 Jahren war sie mit der Ausbildung fertig und wurde von ihrem Orden als Yogalehrerin nach Zypern, in die Türkei, nach Hong Kong, Taiwan, Schweden, England und schließlich nach Amerika geschickt. In Wichita, Kansas, arbeitete sie nicht nur als Yogalehrerin, sondern auch als Leiterin eines Frauenheimes mit angeschlossenem Kindergarten. Dort war sie quasi die „Frau Oberin“: „Ich hatte ja in Indien ein Gelübde abgelegt. Seitdem lebte ich im Zölibat, trug einen weißen Sari und einen orangefarbenen Kittel, einen Schleier, hatte geschorene Haare und keinen materiellen Besitz. Aber ich habe mich immer wieder verliebt und da habe ich gemerkt, dass das Nonnendasein doch nichts für mich ist.“ Sie verließ den Orden und fing an, in Kansas Theaterwissenschaften zu studieren, verliebte sich in einen Afroamerikaner namens Hill, heiratete ihn, wurde schwanger.

Mit dessen streng baptistischer Familie gab es jedoch Probleme: „Seine Familie wusste, dass ich vorher Yoga gemacht hatte und hielt mich deswegen für eine Hexe. Als ich nach der Geburt meiner Tochter Mira die Plazenta in der Erde vergrub und einen Baum draufpflanzte, wollte mich der Onkel erschießen. Wir sind dann mit dem neugeborenen Kind abgehauen und haben uns bei Freunden versteckt.“ Auch für den Krebs ihrer Schwiegermutter wurde Rose verantwortlich gemacht. Als diese starb, war der Ofen endgültig aus: „Das war schon eine sehr verrückte Familie. Mein Mann wollte so schnell wie möglich weg, er überredete mich, mit ihm nach Deutschland zu gehen. Ich war gerade zum zweiten Mal schwanger, und zwar im neunten Monat. Ein Arzt bescheinigte mir, dass ich erst im fünften Monat sei, und so konnten wir fliegen und ich landete wieder in Bremen.“

Rose selbst findet ihre Lebensgeschichte gar nicht so außergewöhnlich: „Ich habe zwar aufregende Sachen erlebt, aber ich habe nicht das Gefühl, etwas Besonderes geleistet zu haben“, sagt sie. „Ich bin einfach nur der Stimme meines Herzens gefolgt, so pathetisch das auch klingen mag. Ich glaube, das ist die wichtigste Stimme, die Stimme, mit der ich einmal sterben werde. Den Mut aufzubringen, dieser Stimme zu folgen, das hat mir viel gebracht. Aber es ist auch unbequem, denn es bedeutet, sich auf nichts zu verlassen und in dieser ständigen Veränderung zu leben. Nichts ist sicher; das wurde mir noch einmal ganz klar, als das Haus nebenan durch eine Gasexplosion in die Luft geflogen ist. Alles, was man sich in seinem Leben aufgebaut hat, alle Sicherheit, kann von einer Sekunde zur anderen ausgelöscht werden.“

Ihre Arbeit als Yogalehrerin ist für die 49-Jährige kein Beruf, sondern eine Berufung. „Ich muss diese Form der Arbeit wählen, das ist eine innere Notwendigkeit. Schon als Kind habe ich Yogaübungen gemacht. Aber erst als ich mich professionell mit Yoga beschäftigte, ging mir auf, was ich da damals eigentlich getan hatte. Die Übungen kamen mir seltsam vertraut vor.“ Die Yogakurse, die sie heute gibt, versteht sie als Angebot zur Selbsterfahrung: „Das ist keine Gymnastikgruppe, kein anonymer Kurs, sondern schon eine vertraute Atmosphäre. Es sollten nur Leute kommen, die wirklich Lust haben, sich aufeinander einzulassen.“

Kontakttelefonnummer für an Yoga oder intuitiver Heilmassage Interessierte: (0421) 55 79 262. Es gibt Kurse für EinsteigerInnen, Fortgeschrittene und Frauen.

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