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Stausee vernichtet Naturparadies

Luchs, Kaiseradler und eine Million Bäume müssen einem EU-Projekt weichen. In der portugiesischen Provinz Alentejo steht der größte Staudamm Europas kurz vor seiner Fertigstellung. Naturschutzverbände kämpfen gegen die Naturzerstörung

von ANDREA WAMSLER

Hoch erheben sich die Mauern der mittelalterlichen Grenzfestung Monsaraz über der weiten Ebene des Alentejo-Gebiets im Süden Portugals. In der Ferne fließen der Rio Guadiana und seine Nebenarme – aus der spanischen Extremadura kommend – durch das Alto Alentejo und das Baixo Alentejo auf ihrem Weg in den Golf von Cádiz. Entlang der Wasserläufe stehen seit Jahrhunderten lichte Auenwälder mit Ölbäumen auf der Sonnenseite der Flussufer und Korkeichen auf der Schattenseite. Weil sie für den Menschen schwer zugänglich sind, wurden die steilen Flusstäler mit ihren Felshöhlen zum geschützten Habitat für Fledermäuse, Uhupaare und den vom Aussterben bedrohten Pardelluchs, auch Iberischer Luchs genannt. Neben Weiß- und Schwarzstörchen bietet sie auch dem Iberischen Kaiseradler, dem Mönchsgeier und einer der größten Reiherkolonie der nördlichen Halbkugel Lebens-, Nist- und Überwinterungsraum. Die Bauern des Alentejo betrachten dieses Naturparadies mit nüchternem Blick. Der Granitboden ist von einer dünnen Erdschicht bedeckt. Hinzu kommt, dass eine natürliche, alle zehn bis fünfzehn Jahre wiederkehrende Dürre ihre Erträge mindert. Bereits Diktator Salazar wollte das Problem der Dürreperioden im Alentejo durch einen Staudamm lösen, um intensive Landwirtschaft zu betreiben.

Seither hat jede Regierung dem Projekt Priorität eingeräumt. Über alternative Entwicklungsmöglichkeiten laut nachzudenken, so Rosa Matos von der portugiesischen Umweltorganisation LPN (Liga para a Protecção da Natureza), hätte bedeutet, einen Mythos zu zerstören.

Nachdem die Weltbank die Finanzierung des Dammprojekts 1975 als unwirtschaftlich abgelehnt hatte, setzte Portugal nach seinem Eintritt in die Europäische Gemeinschaft 1986 seine ganze Hoffnung auf Brüssel. Mit Erfolg: Für 2,5 Milliarden Mark wird in Alqueva seit 1993 das größte Staudamm – Projekt Europas gebaut. Die Hälfte der Kosten übernimmt die EU.

Ende März blockierte eine Gruppe von 200 Demonstranten die Zufahrtsbrücke vor der Baustelle des Staudamms. Auf Bannern weisen die Umweltschützer auf die größte Baumfällung in Europa hin. Bis zur Flutung des Staubeckens zum Jahresende sollen rund eine Million Bäume gefällt werden. Claus-Peter Hutter, Präsident der Umweltstiftung Euronatur, weist darauf hin, dass „alle Welt auf das Schicksal der Regenwälder schaut, während sich mitten in Europa eine Naturvernichtung unvorstellbaren Ausmaßes vollzieht und es keine Evakuierungspläne für bedrohte Tierarten gibt“.

Hutter fordert von der Europäischen Kommission, die Rodung sofort zu stoppen, da nach der neuesten Studie des offiziellen Umweltinstiuts ICN (Instituto da Conservacao da Natureza) der vom Aussterben bedrohte Pardelluchs in diesem Gebiet beheimatet ist. Die Zahl der Iberischen Raubkatzen, so Siobhan Mitchell von der SOS Lynx – Gruppe, ist von 3.000 Tieren im Jahr 1960 auf mittlerweile 400 geschrumpft. Die Tierschützerin weist darauf hin, dass der Rio Guadiana und seine Nebenflüsse überlebensnotwenige Verbindungskorridore für die Luchspopulationen seien. Und genau diese Pfade, die einen genetische Austausch mit der spanischen Luchspopulation ermöglichen, werden gegenwärtig für den Stausee gerodet. Mitchell erklärt, dass durch das geplante Bewässerungssystem mit einer Länge von rund 5.000 Kilometern weitere Barriere für die Großkatzen entstehen.

Im Grunde ist der Luchs durch die Gesetzgebung der EU geschützt. Denn der Flora-Fauna-Habitat Richtlinie zufolge müssen für Tierarten, die auf der Roten Liste stehen, besondere Schutzgebiete ausgewiesen werden. Ursprünglich sollte der ganze Flusslauf in das Natura 2000 Programm der EU aufgenommen werden. Dieses hat die Errichtung eines ökologischen Netzwerks besonderer Schutzgebiete zum Ziel. Doch die Regierung, behauptet Rosa Matos, „manipulierte die Karte, und ließ den ganzen Flusslauf einfach verschwinden“.

Umweltverbände fordern die Herabsetzung des Stauniveaus von 152 auf 139 Meter, um dadurch 40 bis 45 Prozent des bedrohten Territoriums und 400.000 Bäume zu retten.

Auch viele der rund 300 archäologischen Stätten, einige davon aus der Altsteinzeit, werden kaum erforscht, in den Fluten versinken. Rosa Matos wirft dem mit dem Projekt beauftragte Konsortium Edia (Gesellschaft für die Entwicklung und Infrastrukturen Alquevas) vor, archäologische Funde zu verschweigen. Die Umweltschützerin sei durch einen anonymen Anruf auf Felsgravierungen am spanischen und portugiesischen Ufer des Rio Guadiana hingewiesen worden. Ein von der LPN beauftragter Archäologe datierte den Fund auf 5.000 bis 7.000 vor Christus und vermutet, dass es sich um eine Stelle für Wasserrituale handelte.

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