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„Wir wollen experimentell vorgehen“

■ St. Georg, Crack und Krankheit: Hamburgs Drogenbeauftragte Christina Baumeister im Interview

taz: Als Drogenbeauftragte halten Sie sich politisch sehr zurück. Zum neuen Handlungskonzept St. Georg haben Sie sich öffentlich gar nicht geäußert, obwohl es für die Drogenszene am Hauptbahnhof einschneidende Maßnahmen vorsieht. Wie stehen Sie dazu?

Christina Baumeister: Das Konzept ist auf Senatorenebene beschlossen, beraten und veröffentlicht worden. In die Vorbereitung war ich aber eng mit einbezogen. Und in der Amtsleiterrunde zum Thema Drogen werden wir nun beraten, wie es weitergeht.

Haben Sie dem Konzept zugestimmt?

Ich finde den Ansatz völlig richtig. Nachdem man in den vergangenen Jahren die Hilfeeinrichtungen stark ausgebaut hat, kann man nun auch verstärkt repressiv vorgehen, wenn die Belastung in St. Georg so hoch ist. Es wird endlich den zweiten Konsumraum geben. Damit habe ich persönlich nicht mehr gerechnet. Offenbar war es nur so möglich. Sobald der Konsumraum eröffnet ist, kann die Polizei Abhängige darauf hinweisen, dass in der Öffentlichkeit nicht mehr konsumiert werden muss. Bisher konnte man ihnen das nicht guten Gewissens sagen. Besonders erfreulich finde ich, dass in St. Georg ein zusätzliches Angebot für Alkoholiker etabliert wird. Es ist immer schwierig, zusätzliche Maßnahmen zu finanzieren. Dass man in dem Konzept den Alkoholbereich mitberücksichtigt hat, ist ein großer Schritt.

Der zur Konsequenz haben wird, dass künftig nicht nur Junkies, sondern auch Alkoholiker vom Hauptbahnhof vertrieben werden.

Ich wüsste nicht, dass die Vertreibung von Menschen, die sich dort treffen und Alkohol trinken, in dem Konzept vorgesehen ist. Der Hauptbahnhof wird immer Anziehungspunkt für bestimmte Gruppen bleiben. Die belasten aber die Bewohner von St. Georg und die Bahnreisenden. Es ist legitim dafür zu sorgen, dass man sich am Hauptbahnhof frei von Ängsten bewegen kann.

In Hamburg gibt es Erfahrungen mit der Kombination aus Hilfe und Repression. Seit dem ersten Handlungskonzept St. Georg 1995 gibt es eine zweite Szene im Schanzenviertel, und die Bewohner von St. Georg haben trotzdem viel zu erdulden.

Bisher hatten wir noch alle Hilfsmaßnahmen umgesetzt, die dazu gehört hätten. Und gegenüber den frühen neunziger Jahren hat sich die Situation für den Wohnstadtteil St. Georg erheblich verbessert. Jetzt hat sie sich erst wieder neu durch den Crack-Konsum verschärft.

Für Crack-Raucher sieht das St. Georg-Papier auch Angebote vor. Wer schreibt das Konzept, und wie wird es aussehen?

Wir schreiben öffentlich aus. Ende August werden wir die Träger von Drogenprojekten auffordern, sich mit ergänzenden Angeboten zu bestehenden Einrichtungen zu bewerben. Die Träger sagen, dass sie die Crack-Raucher schon in ihren Einrichtungen haben. Es sind überwiegend Heroin-Konsumenten, die zusätzlich Crack rauchen. Dafür werden wir Angebote einholen, ohne im Detail festzulegen, wie sie auszusehen haben. Das kann in einer Einrichtung aufsuchende Straßensozialarbeit sein, in einer anderen ein Ruheraum.

Warum halten Sie das offen?

Es gibt nicht das Konzept, auf das man sich in der Fachwelt verständigt hat. Es gibt sehr unterschiedliche Vorstellungen. Und es gibt die Besonderheit, dass die Zielgruppe bereits versorgt ist, aber offenbar unzureichend. Wir wollen experimentell vorgehen.

Was ist erforderlich?

Ich würde gerne zwei Dinge kombinieren: Zum einen niedrigschwellige Krisenintervention für Crack-Raucher, die am Rande der Erschöpfung sind. Die müssen sich ausschlafen können, um dann ansprechbar zu sein. Das sollte dann verknüpft werden mit weiterführender Beratung und Behandlung. Ich kann mir schlecht vorstellen, dass wir die Crackkonsumenten, wenn sie sich ausgeschlafen haben und mit Akupunktur behandelt sind, wieder auf die Straße zurückschicken.

Ich höre schon den Aufschrei der Träger, die akzeptierende Drogenarbeit leisten.

Sie sollen auch akzeptierende Arbeit machen. Das ist kein Widerspruch. Niemand wird zur Therapie gezwungen. Aber selbst die niedrigschwelligsten Träger sagen, dass im Grunde alle Konsumenten aussteigen wollen.

Parallel schreiben Sie den zweiten Heroin-Konsumraum in St. Georg aus. Steht der Bus, der bis zur Eröffnung provisorisch vom Verein Jugendhilfe mitgenutzt werden soll, schon bereit?

Er wird zurzeit umgebaut. Das Besondere ist: Es wird ein Rauchraum werden. Die Rauchplätze aus dem „Drob Inn“ werden in den Bus verlagert. Das „Drob Inn“ kann dafür mehr Plätze für intravenösen Konsum bieten. Alle arbeiten mit Hochdruck. Es stimmt nicht, dass nur die Repression sofort einsetzt und die Hilfe rausgezögert wird.

Ein Dauerthema in Hamburg ist die Ambulanz zur kontrollierten Heroinabgabe. Im Moment heißt es, dass sie im kommenden Frühjahr eröffnet werden soll. Warum verzögert es sich immer wieder?

Solange die Genehmigung des Bundesinstitutes für Arzneimittel und Medizinprodukte nicht vorliegt, dürfen wir nicht anfangen.

Können Sie das Projekt nicht so weit vorbereiten, dass es am Tag nach der Genehmigung eröffnet werden kann?

Nein. Man darf natürlich dann nicht bei null anfangen. Aber wir können noch keine Probanden aussuchen und Personal einstellen. Wir hatten bereits eine Stellenanzeige im Ärzteblatt geschaltet, um zumindest schon einen Fundus an Bewerbungen zu haben. Aber die Genehmigung liegt immer noch nicht vor, und ich weiß nicht, ob die damaligen Bewerber überhaupt noch Interesse haben. Wir waren da zu optimistisch.

Ein erster avisierter Standort in Hohenfelde ist nicht am Bundesins-titut für Arzneimittel, sondern am Protest der Anwohnerinnen und Anwohner gescheitert.

Wenn wir das Projekt dort schnell hätten umsetzen können, hätten die Anwohner gesehen, dass wir nichts Unanständiges tun.

Sind neue Standorte im Gespräch?

Nein.

Die Regenbogen-Gruppe hat die Befürchtung geäußert, dass der Modellversuch bis nach den Wahlen verzögert und dann gestrichen wird. Fürchten Sie das auch?

Überhaupt nicht. Dem Projekt hat man sich in den Koalitionsverträgen in Hamburg und im Bund politisch verschrieben. Wir haben den Aufwand unterschätzt, den ein solcher Arzneimittelversuch mit sich bringt.

Am offensichtlichsten sind die drogenpolitischen Bedarfe im Bereich der illegalen Stoffe und der offenen Szene. Im legalen Bereich: Wo liegen die Probleme?

Es ist ein großes Problem, dass mehr Alkoholiker in die Beratung wollen, als möglich ist. Es gibt Wartezeiten. Dabei kann es nicht angehen, dass wir Leute abweisen müssen, die den großen Schritt geschafft und sich an eine Beratungsstelle gewandt haben.

Gibt es immer mehr Alkoholkranke oder wurde das Beratungsangebot gekürzt?

Zum einen sind die Angebote bekannter geworden, so dass sich mehr Menschen dorthin wenden. Die steigende Nachfrage liegt aber auch daran, dass die Krankenkassen Menschen, die wegen Alkoholproblemen krank oder arbeitsunfähig sind, zur Therapie drängen. Das ist auch nicht falsch.

Planen sie neue Einrichtungen?

Ende August wird die neue Beratungsstelle „Lukas“ in Lurup eingeweiht, aber mehr gibt der Haushalt nicht her. Wir streben an, die suchtmittelübergreifenden Angebote verstärkt für Alkoholberatung zu nutzen.

AlkoholikerInnen mit einem bürgerlichen Leben haben sicher Schwellenangst, in eine Beratung zu gehen, in der auch Junkies sind.

Man muss sehen, für welche Klienten das möglich ist. Im übrigen sieht ein Raum für die Beratung Heroinabhängiger genauso aus wie ein Raum für Alkoholiker. Die Träger sind auch bereit, verstärkt Alkoholiker zu betreuen. Ein zweites Ziel ist, Kostenträger wie die Rentenversicherung stärker in die Verantwortung zu ziehen. Ehe die eine Alkoholtherapie finanzieren, verlangen sie eine Beratung. Bezahlen tun sie die aber nicht. Das finde ich schief. Die Klienten müssen auch stärker über das reguläre Gesundheitssystem versorgt werden.

Viele Konsumenten illegaler Drogen sind ins reguläre Gesundheitssystem nicht einmal eingebunden. Dennoch musste das „Cafe Sperrgebiet“ jahrelang darum kämpfen, zumindest stundenweise eine Ärztin für die oft verelendeten Mädchen finanziert zu bekommen.

Es ist ein permanenter Sündenfall, den die Stadt damit begeht, diese medizinische Versorgung über Zuwendungen, also den Steuerzahler, zu finanzieren. Das müss-ten die Krankenkassen zahlen.

Der Sündenfall liegt doch eher darin, dass die KlientInnen gesundheitlich extrem unterversorgt sind.

Es gibt Ärzte in einigen Einrichtungen, und die mit Konsumräumen beschäftigen auch Krankenpflegekräfte. Aber dass die Behörde das bezahlt, muss die Ausnahme bleiben. Hinsichtlich der medizinischen Betreuung haben wir nun einen Erfolg zu verbuchen: Wir konnten im Hauhalt 2002 gesonderte Mittel für Akupunktur für Suchtkranke bereitstellen. Zwischen 2002 und 2004 sind jährlich 256.000 Euro dafür eingeplant. Die Behandlungen wollen wir in bereits bestehende Einrichtungen integrieren. Auch das werden wir ausschreiben. Außerdem werden wir die Akupunktur evaluieren lassen, um dann in drei Jahren mit den hoffentlich guten Ergebnissen erneut an den Bundesausschuss Ärzte und Krankenkassen heranzutreten. Irgendwann müssen die Kassen das finanzieren.

Interview: Elke Spanner

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