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Der Heilige von Monrovia

Am Sonntag könnte sich das von Bürgerkrieg und UN-Sanktionen geplagte Liberia für die Fußball-WM qualifizieren und dem Ex-Weltfußballer George Weah damit die Krönung seiner Karriere gelingen

von MATTI LIESKE

Man stelle sich vor, der Weltfußballverband Fifa hätte Anfang der 90er-Jahre Kroatien, Restjugoslawien und Bosnien-Herzegowina in eine Qualifikationsgruppe zur Fußball-WM gelost. Nicht ganz unähnlich ist die Situation in der Gruppe B der afrikanischen Ausscheidung für die Weltmeisterschaft 2002. Der große Favorit ist Nigeria, gegen dessen WM-Teilnahme 1998 es wegen der Militärherrschaft massive Proteste gab. Ebenfalls in der Gruppe ist Liberia, das einen jahrelangen Bürgerkrieg hinter sich hat und gegen dessen Präsidenten Charles Taylor die nigerianische Regierung sieben Jahre lang mit Unterstützung der USA und Großbritanniens Krieg führte, als er noch Rebellenführer war. Außerdem dabei: Sierra Leone, dessen Regierung von Rebellen bedrängt wird, die wiederum von Taylor unterstützt werden. Die Mittel dazu verschafft sich der 1997 frei gewählte liberianische Präsident durch den illegalen Handel mit Diamanten, weshalb die UN scharfe Sanktionen gegen das Land verhängt hat. Vervollständigt wird die Gruppe B durch das ebenfalls in der Region angesiedelte Ghana und den Sudan. Kaum verwunderlich, dass die Spiele von einer Atmosphäre des Misstrauens, von Bestechungsvorwürfen, wechselseitigen Verdächtigungen und Schmähungen begleitet waren.

Adler verfolgen Sterne

Die Sensation aber ist, dass vor dem letzten Spieltag Liberias „Lone Stars“, welche bereits alle ihre Partien absolviert haben, mit 15 Punkten an der Spitze stehen. Zwei Zähler dahinter liegt Nigeria, und da nur der Gruppensieger zur WM darf, müssen die „Super Eagles“ morgen ihr Heimspiel in Port Harcourt gegen Ghana unbedingt gewinnen, wenn sie im nächsten Jahr in Japan und Südkorea dabei sein wollen. Schon ein Unentschieden würde bedeuten, dass nach dem Senegal mit Liberia die zweite Überraschungsmannschaft ihre erste WM-Teilnahme schafft. Groß sind die Befürchtungen, Ghana könnte den Nigerianern mit einer laxen Vorstellung entgegenkommen. George Weah, der Inbegriff des liberianischen Fußballs, will daher persönlich zum Match reisen und schauen, „ob alles fair zugeht und es kein Hankypanky gibt“.

Für den 35-Jährigen wäre die WM 2002 eine Krönung seiner Karriere, wie er sie sich eigentlich nie erhoffen konnte. Ohne den Weltfußballer von 1995, der für den AS Monaco, Paris St. Germain, den AC Mailand, FC Chelsea, Manchester City und zuletzt Olympique Marseille stürmte, hätte es in den Zeiten des Bürgerkriegs keine liberianische Fußballmannschaft gegeben. Weah besorgte Schuhe und Trikots, er bezahlte Flüge, Hotels und Trainingslager, schoss die Tore und fungierte zuletzt auch als Trainer. „Er hat sein Leben, seine Karriere, seine Familie, seine Zeit gegeben – er ist einfach gottgesandt“, schwärmt Edwin Snowe, der Präsident des liberianischen Fußballverbandes.

Mit Spielern ohne große Namen, die in niedrigen europäischen Ligen, in Indonesien, Saudi-Arabien oder in der schwachen Liga ihrer Heimat aktiv sind, bildete Weah ein Team, das mit geschicktem Konterfußball erstaunliche Resultate erzielte: den Auswärtssieg in Ghana zum Beispiel oder das 2:1 in Monrovia gegen Nigeria. „Ich hatte fünf von ihnen beim AS Monaco“, sagt Arsenal-Trainer Arsène Wenger, „es sind gute Spieler und sie haben ein gutes Team. Das waren keine Freak-Ergebnisse.“

Bis zum Heimspiel gegen Ghana Anfang Juli lief alles glänzend für Liberia, das Land schäumte über vor Fußballbegeisterung. Dann ging plötzlich alles aus den Fugen. Die nicht für möglich gehaltene 1:2-Niederlage ließ die Träume abrupt platzen, die Euphorie schlug in Wut um. So hoch die Fans Weah und das Team vorher gejubelt hatten, so harsch ließen sie sie nun fallen. „Ich habe von George nicht erwartet, dass er uns so weit bringt und dann frustriert“, gab ein Fan die Stimmung wieder. Schon eine Viertelstunde vor Schluss pfiff das Publikum die Mannschaft gnadenlos aus, Präsident Taylor verließ eilends das Stadion. Eben noch als „heiliger George“ gefeiert, wurde Weah jetzt mit Getränken übergossen und übel beschimpft: „Er ist ein Fluch für Liberia.“

„Nie mehr Liberia“

Abends belagerte man sein Haus und bewarf es mit Steinen – böse Reminiszenz an 1996, als Truppen von Warlords seinen Besitz in Flammen aufgehen ließen, wovon sich Charles Taylor damals distanzierte. Am nächsten Tag erklärte ein bitter enttäuschter George Weah seinen Rücktritt. „Ich verlasse Liberia und gehe in die USA, um dort in Ruhe zu leben“, teilte er mit.

Erst die persönliche Intervention von Präsident Taylor konnte Weah umstimmen. Im letzten Qualifikationsmatch in Sierra Leone ließ er sich trotz Verletzung in der zweiten Halbzeit einwechseln und köpfte das Tor zum 1:0-Sieg, der den Lone Stars wieder alle Chancen auf die WM eröffnete. Dies tat er allerdings nicht, ohne vorher tief in die Pathoskiste zu greifen, wie Fußball-Chef Edwin Snowe berichtet: „Er sagte: ‚Ich werde spielen. Wenn ich sterbe, begrabt mich im Samuel-Kanyon-Doe-Komplex.‘“ Das ist das Sportzentrum in Monrovia.

Mit seiner charismatischen Einmannshow hat George Weah, der nach seiner aktiven Karriere gern Sportfunktionär werden möchte, sich nicht nur Bewunderer in Afrika geschaffen. Spieler von Ghana erklärten nach ihrem Sieg, er habe sie bestechen wollen, und machten deutlich, dass sie vor allem deshalb so gekämpft hätten, weil sie sich bei Weah für spöttische Bemerkungen nach dem Hinspiel revanchieren wollten. „Wir waren uns einig, dass wir Liberia bekämpfen müssen, als ob es um unser Leben geht.“ Eine Einstellung, die Ghanas Coach Fred Osman Duodu auch für das morgige Match verspricht: „Wir haben unseren Stolz als Nation, wir fahren nicht nach Nigeria, um eine Teeparty zu veranstalten.“ Wenn diesen Worten Taten folgen, könnte „eine der romantischsten Geschichten im Weltfußball“ (Snowe) doch noch wahr werden.

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