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Aufstehen für den Fußball

Wahr ist, dass TV-Rechteinhaber Kirch den Fußballfan zwingen will, einen Decoder zu kaufen – wahr ist auch, dass sein Geld die Liga besser macht

Auf dem Sofa

von PETER UNFRIED

1. Der Fußballfan

Er weiß genau, dass man ihn weich kochen will. Natürlich weiß er das. Was der Fußballfan aber nicht weiß: Wird er stark genug sein, zu widerstehen? Und um welchen Preis?

Ein ganzes langes Leben war am Samstag immer alles so einfach: Auto waschen, Garten jäten, Oma besuchen – und dann schnell nach Hause und Bundesliga gucken.

Ganz früher war das um 17.48 Uhr, dann um 18.05 Uhr, zuletzt um 18.30 Uhr. Und nun? Ab heute heißt es: Bundesliga erst um 20.15 Uhr.

Was soll der Fußballfan tun? Er weiß es selber noch nicht genau. Passt 20.15 Uhr in sein Leben? Kann er bis dahin leben, ohne die Ergebnisse zu kennen? Einerseits ist er sauer, muss kotzen, wenn wieder jemand sagt, das sei doch „zeitnah“ – und grübelt über seinen Abschied vom Bundesligafernsehen.

Andererseits hat er Angst: Worüber soll er reden? Vor allem: An was soll er denken in den ganzen Stunden und Tagen bis zum nächsten Samstag? Und so taucht in seinen Gedanken irgendwann doch das Gesicht des Premiere-World-Anchor-Reporters und Hauptwerbeträgers Marcel Reif auf, das flüstert: „Neuer. Einfacher. Günstiger. 7 Spiele gleichzeitig. Live. Hol dir Premiere World.“

Übrigens ist dieser Fußballfan eigentlich Fernsehfußball-Konsument. Wäre er Fußballfan, wäre er ja im Stadion.

2. Die Fernseh- & Fußball-Manager

Darf man noch mal den Witz erzählen, obwohl ihn jeder kennt? Also: Zum ersten Mal in der Geschichte des Privatfernsehens hat man viel Arbeit in ein Konzept investiert, um dafür zu sorgen, dass die Sendung NICHT mehr so erfolgreich ist. „Ein Bubenstück der Kirch-Gruppe“, nennt ARD-Chef Fritz Pleitgen das, „weil sie sich Auftrieb für ihr notleidendes Pay-TV erhofft.“ So ist das.

Wir erinnern uns: Kirch (u. a. Premiere World, Sat.1. DSF, Springer) zahlt 750 Millionen jährlich an die Deutsche Fußball-Liga GmbH. Dieses Geld macht die Profis viel reicher, aber es macht in Maßen auch den Fußball besser.

Die Bundesliga versucht gerade einen Schritt in die Zukunft – neue Struktur, neue Stadien, die richtig Geld bringen, neue Möglichkeiten, zu investieren, die doch bescheiden/vernünftig daherkommen im Vergleich mit Europas Spitze.

Ohne Fernsehen kann man sich an den Faröer-Inseln orientieren. Bestensfalls. Jeder muss Verständnis haben, sagt Ligachef Werner Hackmann, „dass Kirch sich refinanzieren muss“. Jeder, der bezahlt wird, das stimmt.

Doch der Kunde versteht einfach nicht. Deshalb macht Kirch nur Verluste mit Fußball. Auf Sat.1 und mit dem Bezahlfernsehsender Premiere World sowieso. Kirch braucht Abonnenten, die nachmittags „live“ zusehen – dringend. Da ist eine Sendung im eigenen Free-TV, die den auch Leuten reicht, kontraproduktiv. Verknappung muss her! Wie wichtig KirchMedia (samt ihrer Sportrechteagentur ISPR ) das nimmt, zeigt der gerichtliche Streit mit der ARD um die Kurzberichte in der „Tagesschau“. Eine Entscheidung wurde gestern vertagt – Kirch bot der ARD „vorübergehend“ 40 Sekunden Topspiel an. Natürlich geht es ums Prinzip. Trotzdem: Dem Fußballfan ist das schnurzegal. Als würden 40 Sekunden sein Leid lindern!

Derweil wird das Anbaggern potenzieller Decoder-Kunden immer bedrängender. Die Frage ist natürlich seit langem nicht mehr, wo beim omnizuständigen Franz Beckenbauer (übrigens heute bei Premiere World „zu Gast“) der Bild- und Decoderverkäufer anfängt, sondern wo er aufhört. Auch der DFB-Teamchef Rudi Völler wirbt in Springer-Medien gleichzeitig in Anzeigen und mehr oder weniger direkt im – wenn man das so nennen darf – redaktionellen Teil. Niemand sollte jetzt annehmen, dass in dieser Branche alle unter einer Decke stecken, sagte Liga-Chef Hackmann der FR, er habe nur gelernt, „dass man gegen Bild keine Politik machen kann“.

Irgendwie ist einem, als habe die gesamte Branche (Ausnahme: Trikotsponsoren) nur noch ein einziges Saisonziel: den Verkauf des verdammten Premiere-World-Decoders.

3. Das Szenario vor dem Gerät

Was wird aus unseren bundesligabegeisterten Kindern? Die doch ihren Schlaf brauchen. Eigentlich. Was aus den Jugendlichen und junge Erwachsenen, die Samstagabend Besseres zu tun haben, als Fußball zu kucken. Was wird aus Papa (Mama), wenn Mama (Papa) lieber Spielfilm sehen will?

Das Schöne für das Unternehmen KirchMedia ist, dass alles bis zu Mord- und Totschlag letztlich im Sinne der Unternehmensstrategie verstanden werden kann – es führt zu Free-TV-Verlusten. (Allerdings kann ein Toter kein Premiere-World-Abo mehr schalten. Na ja, man kann nicht alles haben.)

Fakt ist aber, dass ein Massensport ein Massenpublikum braucht. Sonst geht das Licht aus.

4. Die Vorhersage

Falls nun irgendeine arme Kreatur sich quält und quält, nur um ihr Leben so umzustellen, damit sie um 20.15 Uhr, ohne extra zu bezahlen, Fernsehfußball sehen kann – weil Ligachef Hackmann verspricht, das sei es nun aber –, dem sei gesagt, was der ehemalige Sat.1- Sportchef Reinhold Beckmann der Zeit steckte: „Bald werden wir englische Verhältnisse haben.“ Das heißt: „Kein Fußball im Free TV vor 22 Uhr.“ Oje.

5. Was tun?

5.1 Einen Decoder kaufen? Dann sind doch alle zufrieden. Sogar der Franz.

5.2 Sein Leben ändern. Komplett.

5.3 Ins Stadion gehen. Da beginnt das Spiel nach wie vor um 15.30 Uhr. Bis auf weiteres. Im Stadion kann guter Fußball im besten Fall für wunderbare Minuten frei sein von allem – Kirch, AOL, ja sogar Beckenbauer. Guter Fußball, oh ja, du großer, großer Cesar Luis Menotti, weist immer noch auf die Verbesserung der Welt hin.

Wirklich.

Auf dem Platz

von ULRICH FUCHS

Ins Stadion gehen. Und dann? An den Würstchenbuden von Männern beiseite gedrängt werden, die den unzähligen Bierfässern immer ähnlicher sehen, die sie in ihrem entbehrungsreichen Fanleben geleert haben. Und die jetzt immer noch mehr Bier trinken müssen, weil auch Fußball nicht mehr ist, was er mal war?

Was ja stimmt. Gott sei Dank.

Man muss ja nur mal hingucken. Wer würde sich noch den schwerfälligen Günter Netzer zurückwünschen, wenn er einmal zuschauen durfte, wie Thomas Rosicky (Borussia Dortmund) den Ball annimmt, wie der schmächtige junge Mann dann Tempo aufnimmt und die Unruhe der gegnerischen Abwehrreihe überspringt auf die Ränge, weil alle spüren, dass jetzt jede Zehntelsekeunde das Schönste passieren kann, oder – je nach Perspektive – eben auch das Schrecklichste: dass der Ball den Weg findet durch die Lücke und der Weg frei wird Richtung Tor.

Oder sollen wir sagen: der Blick frei auf das, was möglich ist? Und es ist wieder einiges möglich unter deutschen Tribünendächern, seit sich bei der letzten Weltmeisterschaft in Frankreich der diagonale Flugball als prägendes Stilmittel des deutschen Angriffsspiels blamiert hat wie nie zuvor. Und seit der Fußball vorgemacht hat, womit die Wirtschaft noch hinterherhinkt: dass die Verpflichtung ausländischer Fachkräfte die Qualität der Produktion beträchtlich steigern kann.

Alles also nur eine Frage des Geldes? Der Fußball ist besser geworden dank der Fernsehmilliarden? Auch. Aber beileibe nicht nur. Weil weiterhin die Binsenweisheit gilt, dass eine Ansammlung erstklassiger Fußballspieler noch lange keine erstklassigen Fußball spielt.

Sie gilt sogar mehr denn je. Weil auch in der Bundesliga in den letzten Jahren die Zukunft des Spiels begonnen hat. Raumdeckung, Übergeben und Übernehmen, Innenverteidiger, die ohne Rückendeckung eines Liberos spielen. Die fußballerische Modernisierung der Topteams hat Christoph Daum selig in Leverkusen eingeleitet. Ottmar Hitzfeld zog nach dem Wechsel von Dortmund zu Bayern München nach. Zugrunde lag bei beiden die Erkenntnis, dass mit Disziplin und Ordnung allein der Fußballstandort Deutschland nicht mehr zu sanieren war.

Besichtigen kann man all diese Neuerungen nur im Stadion. Weil die Fernsehkameras, die auf Höhe des Balls agieren, sie einem genauso vorenthalten wie die Heerschar der Reporter, die nicht auf der Höhe der Zeit sind.

Verschieben und damit die Räume eng machen auf der einen Seite und der Versuch, sich mit kurzen, schnellen Kombinationen aus dieser Enge frei zu machen, auf der anderen – die Prinzipien des modernen Spiels gehören nun auch in der Bundesliga zum Standardrepertoire. Damit ist das Spiel nicht nur besser, es ist auch attraktiver geworden.

Und man darf voller Hoffnung sein, dass diese Entwicklung in der neuen Saison eine Fortsetzung findet. Nicht nur weil Jan Koller in Dortmund zeigen kann, was René Ejikelkamp auf Schalke einst vorgemacht hat: Wie man mit Witz und Spielverständnis die motorischen Begrenztheiten eines von Natur aus ungelenken Stürmers überwinden kann.

Oder weil die Rückkehr nach langer Verletzungspause von Stefan Beinlich und die Verpflichtung von Marcelinho die Hoffnung bergen, dass selbst die Fußballarbeiter von Hertha BSC die Höhen der Spielkultur stürmen.

Noch spannender ist die Frage, ob die Entwicklung des Trainers zum Autor des Spiels fortgeschrieben wird. Mit Klaus Toppmöller in Leverkusen, der vor Jahren in Bochum einer der Protagonisten des deutschen Autorenfußballs war. Oder mit Ewald Lienen und dem 1. FC Köln. Mit Sammer in Dortmund. Vielleicht sogar mit Klaus Augenthaler in Nürnberg? Und sicher natürlich mit Hans Meyer in Gladbach.

P.S. Dass sich jetzt aber keiner falsche Hoffnungen macht: Meister wird Bayern.

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