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Todesfall durch neue Polizeimunition?

Die Senegalesin Ndeye F. wurde möglicherweise zum ersten Opfer neuartiger „Deformationsgeschosse“ in Bayern

BERLIN taz ■ Der Fall schien klar. Die 26-jährige Senegalesin Ndeye F. war am 14. Juli in der Aschaffenburger Wohnung ihres Ehemannes von einem Polizisten erschossen worden, nachdem sie dessen Kollegen mit dem Küchenmesser attackiert hatte. Ein tragischer Fall von Nothilfe. Doch nun erscheint der Vorgang in neuem Licht. Wie das bayerische Innenministerium bestätigte, waren die Streifenpolizisten mit so genannten Deformationsgeschossen ausgerüstet. Diese neuartige Munition, die seit vergangenem Herbst von einigen Länderpolizeien verwendet wird, hat damit möglicherweise ein erstes Todesopfer gefordert.

Im November 1999 beschloss die Innenministerkonferenz auf Anregung der Gewerkschaft der Polizei (GdP) die Einführung der Deformationsgeschosse. Vorausgegangen war ein Zwischenfall in München: Nach einem Messerangriff schoss eine Polizistin aus kurzer Distanz auf einen Mann. Das Projektil durchschlug jedoch den Körper des Angreifers und tötete auch einen Mann, der hinter diesem stand. Bayern und Baden-Württemberg begannen daraufhin im Oktober, die „Polizei-Einsatz-Patrone“ (P.E.P.) einzuführen. Sie sollte solche Unfälle künftig verhindern. Inzwischen ist die bayerische Polizei „nahezu flächendeckend“ mit der P.E.P. ausgerüstet.

Die Hersteller versprechen eine erhöhte „Mannstopp-Wirkung“, die den Getroffenen sofort angriffsunfähig mache. Andere Personen sollen dagegen nicht gefährdet sein, da das Geschoss den größten Teil seiner Energie unmittelbar beim Aufprall abgibt. Im menschlichen Körper richtet es aber erheblich größere Verletzungen an als die bisherige Vollmantelmunition. Denn die Schussenergie konzentriert sich hier auf die getroffene Stelle. Je stärker das Geschoss „aufpilzt“, desto größer ist die Energieabgabe und damit die Schwere der Verletzungen.

Bei Kritikern sind die neuen Geschosse daher stark umstritten. Sie weisen unter anderem auf die erhöhte Gefahr zertrümmerter Knochen hin. Der Berliner Professor Oesten Baller warnte in einem Beitrag für die Zeitschrift Bürgerrechte & Polizei/CILIP vor „irreversiblen Schädigungen des Körpergewebes“. Zudem sei die Wahrscheinlichkeit höher, „dass zentrale Blutgefäße getroffen werden“.

Nach Auskunft eines Polizeisprechers in Aschaffenburg durchtrennten Knochensplitter die Schlagader von Ndeye F. Ob dies auf die Deformationsmunition zurückzuführen ist, könne nur das Obduktionsgutachten klären, sagt Eberhard Becker von der Staatsanwaltschaft in Aschaffenburg. Dieses werde in etwa zwei Wochen erwartet. Erst dann, so Becker, lasse sich auch ein möglicher Zusammenhang zwischen der verwendeten Munition und dem Tod von Ndeye F. prüfen. YASSIN MUSHARBASHOTTO DIEDERICHS

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