: Schwarzbild
Die Reform des ORF ist beschlossene Sache. Droht den Österreichern jetzt ein privates Haider TV?
aus Wien RALF LEONHARD
Wolfgang Schüssel kann beruhigt Urlaub machen. Knapp vor der Sommerpause verabschiedete die Regierung das wichtigste Projekt des Wendekanzlers: die ORF-Reform. Oder das, was als eine Reform ausgegeben wird. Die auf den ersten Blick harmlos wirkenden Gesetze sollen in Österreich terrestrisches Privat-TV erlauben und den ORF von einer Anstalt öffentlichen Rechts in eine öffentlich-rechtliche Stiftung umwandeln. Die Gesetze sind deswegen das zentrale Werk dieser Regierung, weil sie dem Bundeskanzler eine zweite Regierungsperiode garantieren und damit die Nachhaltigkeit der konservativen Wende absichern sollen. Wer den ORF kontrolliert, kontrolliert die öffentliche Meinung.
Österreich ist das einzige Land, in dem eine tägliche Nachrichtensendung auf beiden Kanälen gleichzeitig läuft. „Das ist wider jede ökonomische Vernunft“, meint der einzige grüne ORF-Kurator Stefan Schennach, „aber natürlich nicht wider die politische Vernunft.“ Redakteure und Programmmanager der „Zeit im Bild“ wissen ein Lied zu singen über die ständigen Anrufe aus den Parteizentralen. Interventionen habe es immer schon gegeben, berichtet ein Verantwortlicher, der nicht genannt werden will, doch so schlimm wie jetzt sei es noch nie gewesen: „Sie dulden keine andere Meinung mehr.“
Generalintendant Weis zeigt sich gern mit einem dicken Ordner, in dem allein die Transkripte der Telefoninterventionen des freiheitlichen Klubobmanns Peter Westenthaler abgeheftet sind. In der „Zeit im Bild 2“ um 22 Uhr ist er der häufigste Studiogast, gefolgt von den freiheitlichen Ministern Grasser und Forstinger. Im Politmagazin „Report“ wurden im ersten Halbjahr 2001 nur zwei Vertreter der Opposition eingeladen – gegenüber fünfzehn der Regierungsparteien. Der Zugriff der blau-schwarzen Koalition auf das Fernsehen wird mit Inkrafttreten der Reform im Dezember institutionell verankert.
Denn die ÖVP kontrolliert nicht weniger als 18 von 35 Mitgliedern des künftigen Stiftungsrates, der als Aufsichtsrat fungiert und sowohl bei der Personalpolitik als auch bei der Programmgestaltung viel mehr mitreden kann als etwa das Kuratorium.
So ist zum Beispiel auch Justizminister Böhmdorfer formal ein parteiloser Anwalt. Nur betreibt seine Kanzlei seit Jahren die Klagen der FPÖ, vor allem gegen die Presse. Wie Entpolitisierung nach Vorstellungen von Schüssel aussieht, wurde bereits im Frühjahr vorgeführt, als die pluralistisch zusammengesetzte Privatradiobehörde, die die Rundfunklizenzen vergibt, einem schwarz-blauen Beirat weichen musste. Es ist der einzige Beirat in Österreich, in dem die Opposition keinen einzigen Sitz hat. Unter den Mitgliedern finden sich ein Sekretär von Peter Westenthaler und ein Mitarbeiter der Kanzlei Böhmdorfer.
Die Machtergreifung der Wenderegierung im ORF schafft eine neue Situation: Das Gleichgewicht in der Informationsbranche, das durch den eher roten ORF und die eher schwarze Zeitungslandschaft jahrzehntelang jeden einseitigen Machtzuwachs in Schach gehalten hatte, kippt. Und die Konzentration schreitet munter voran. Von den vor vier Jahren zugelassenen 57 Privatradios sind gerade noch 9 übrig. Die restlichen wurden von den Medienriesen Kronen-Zeitung und Media Print aufgesogen.
Auch das Privatfernsehen wird da kaum für mehr Pluralismus sorgen. Die einzige Vollfrequenz, die zu vergeben ist, wurde dem bayrischen Rundfunkmagnaten Herbert Kloiber zugesagt. Kloibers Tele München Gruppe (TMG) hält 25 Prozent am privaten Kabelkanal ATV; außerdem ist er Gesellschafter bei den Energy Radios in Wien und München. Und schließlich ist Kloiber Aufsichtsratsvorsitzender von ATV, einem Kanal, der sich mit billigen Talkshows und Spielfilmen einen bescheidenen Marktanteil geschaffen hat.
Auflagen für Qualitätsprogramme, wie sie dem ORF im neuen Gesetz gemacht wurden, wird es für Privat-TV nicht geben. Wenn diese politische Gewichtsverteilung bei ATV ein Vorgeschmack auf die Zukunft des Privatkanals ist, steht Österreich FPÖ-TV bevor. Dann kann man zwischen Schüssels „Zeit im Bild“ im ORF und den Haider-Nachrichten im Privat-TV wählen.
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