berlin buch boom: Jan von Flocken beschreibt die alte Siegesallee im Tiergarten
Der Kaiser war begeistert
Der HErr hatte einmal einen kuriosen Einfall. Er machte Wilhelm II. zum deutschen Kaiser. Und jener konnte es nicht fassen. Deutscher Kaiser, so viel Glück! Seine Existenz war Gipfelpunkt der langen Geschichte der Hohenzollern, jener einstigen „de Zolorin“, der Herrscher über Brandenburg und Pruzzen, das spätere Preußen. Das musste in Stein gemeißelt dastehen – daher hatte auch er einen Einfall. Er verkündete also 1895: „Als Zeichen Meiner Anerkennung für die Stadt und zur Erinnerung an die ruhmreiche Vergangenheit unseres Vaterlandes will Ich einen bleibenden Ehrenschmuck für Meine Haupt- und Residenzstadt Berlin stiften, welcher die Entwicklung der vaterländischen Geschichte von der Begründung der Mark Brandenburg bis zur Wiederaufrichtung des Reiches darstellen soll. Mein Plan geht dahin, in der Siegesallee die Marmor-Standbilder der Fürsten Brandenburgs und Preußens, beginnend mit dem Markgrafen Albrecht dem Bären und schließend mit dem Kaiser und König Wilhelm I., und neben ihnen die Bildwerke je eines für seine Zeit besonders charakteristischen Mannes, sei er Soldat, Staatsmann oder Bürger, in fortlaufender Reihe errichten zu lassen.“ Und so bekam die Siegesallee, die damals den Tiergarten durchlief, eine Skulpturengalerie mit insgesamt 32 Herrschern, klassizistisch gehauen in weißen Marmor, ganz wie seine Majestät befohlen.
Traditionelle Bildhauer wie Begas wurden verpflichtet und hatten den in Deutschland endenden Preußen ein Gesicht zu meißeln. Was sie nicht selten auf absonderliche Weise taten: Der Bildhauer Walter Schott etwa schuf, da für das Aussehen Albrechts des Bären nur ein Siegel bürgte, „das ebenso gut ein fund Wurst wie ein Gesicht darstellen konnte“, den hohen Herren einfach nach seinem Ebenbild. Heraus kam Geschichte in Marmor, die Wahrheit werden sollte. Der Kaiser war begeistert. Die freie Kunstkritik nicht. Die Promenade, die die Siegesallee dank der pompösen Denkmäler nun darstellte, wurde zwar von der Bevölkerung gern genutzt (und „Puppenallee“ genannt), hinterließ bei den modern gesinnten Kunstkritikern jedoch kaum mehr als Befremden – sie wurde für zu wuchtig befunden. Als ihren einzigen Nutzen sah man an, dass nun der Tiergarten wenigstens nicht bebaut werden würde.
Albert Speer schließlich ließ sie – ebenso wie die Siegessäule, die damals noch nahe dem Reichstag stand – zugunsten einer großen Prachtstraße 1938 versetzen, nach dem Weltkrieg, den die Skulpturen schwer beschädigt überstanden, wurde die Siegesallee auf Geheiß der Alliierten abgetragen. Die Figuren, die noch erhalten waren, wurden zunächst beim Schloss Bellevue vergraben, bis sie Ende der Siebzigerjahre in der Spandauer Zitadelle beziehungsweise im Lapidarium am Halleschen Ufer erneut aufgestellt wurden.
Jan von Flocken hat die Geschichte der Siegesallee in einem detaillierten Buch aufgeschrieben, und man kann anhand der genauen Abbildungen jeder einzelnen Statue und Büste noch einmal an ihr entlangschreiten. Und obwohl von Flocken ein bisschen sehr bemüht versucht, den komischen Kaiser als Kunstkenner zu präsentieren, ist ein Buch ein gutes. Denn es zeigt anschaulich die Vergänglichkeit von schlechter Geschichte – betrachtet man die hohen, gequetscht zusammen gestellten Figuren im Lapidarium, so sieht man Großpreußen gestaucht. Ein schöner Anblick.
JÖRG SUNDERMEIER
Jan von Flocken: „Die Siegesallee“. Kai Homilius Verlag, Berlin 2000, 160 Seiten, 49,90 DM
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