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Bunte Blumen werden blühen

Annäherung an einen Berliner Park (3): Der Erholungspark Marzahn überrascht mit dem größten chinesischen Garten Europas

Ich trinkein Ruhe einen Tee: „Gelbe Triebe des Huang- Bergs“

von MATTHIAS ECHTERHAGEN

Bratwurst für ihn, für sie nur ein Stück Kuchen, das Kind will noch ein Eis. Das bekommt es auch, und jetzt wird erst mal geschwiegen und zu Ende gegessen, bevor es weitergeht. Die meisten Besucher machen beim Schlendern Rast an der Imbissbude. Aus Lautsprecherboxen rieseln zur Untermalung eingängige Streichermelodien, und jetzt am Mittag, wenn die metallbeschlagene Bude im gleißenden Sonnenlicht nervös flirrt, verliert dieser Ort seine festen Konturen.

Bin ich wirklich gelandet, wo ich hinwollte, in den Marzahner Park? Ich bin, wie mir die Senioren am Nebentisch belustigt bestätigen. Die Älteren bilden hier die Mehrheit. Andächtig hören sie der Musik zu und lassen dazu das Geschirr klirren. Man tauscht sich über den letzten Amtsbesuch aus und erzählt von alten Zeiten, als der Erholungspark noch „Berliner Gartenschau“ hieß und eine große Attraktion nur für Marzahn war. Das war Ende der 80er-Jahre.

Anlässlich der 750-Jahr-Feier der Stadt sollte die Marzahner Platte mit einer Grünanlage aufgefrischt werden. Man einigte sich schließlich auf ein Naherholungsgebiet zwischen den Neubaubezirken Hellersdorf und Marzahn. „Berliner Gartenschau“ sollte es heißen und der Buga im Westen Konkurrenz machen. Am 9. Mai 1987 wurde der Garten feierlich eröffnet. „Ein Blumenmeer leuchtet inmitten neuer Wohnviertel“, lautete tags darauf die Schlagzeile in einer Ostberliner Zeitung. Weiter ging es so: „Bunte Blumen werden blühen, Springbrunnen sprudeln, einen Plastikgarten, Streichelzoo, Weißbiergarten und ein Blumentheater wird es geben.“ Zweieinhalb Jahre später fiel die Mauer. Es war Herbst, und das Blumenmeer im Stadtgarten gab nur noch ein mattes Schimmern von sich. Wenig später wurde die „Berliner Gartenschau“ in „Erholungspark Marzahn“ umbenannt.

Ich verlasse die Imbissbude und begebe mich auf die Suche nach dem Streichelzoo. Weite Wiesen breiten sich vor mir aus und Stille umfängt mich. Es ist hier ganz anders als im Treptower Park, wo ich sonst oft bin. An Hochtagen herrscht dort ein eher hektisches Erholungstreiben. Der Marzahner Park dagegen ist ein künstlich angelegtes Paradies mit intakten Rosengärten, fein abgezirkelten Großbeeten und frisch gemähten Liegewiesen. Hunde dürfen nicht rein. Nur das gleichmäßige Klackern der Bewässerungsanlagen ist etwas laut. Lullt aber trotzdem ein. Wenn ein Wasserstrahl durch das Blätterwerk der Bäume fährt, klingt es wie fernes Meeresrauschen. Im Park stehen überall Liegestühle herum. Viele von ihnen sind leer. Kleinfamilien picknicken im Schatten, nicht weit vom Spielplatz entfernt.

Dort entdecke ich auch den Streichelzoo, doch nach zotteligem Getier halte ich vergebens Ausschau. Die Hütten stehen schon seit einem Jahr so verlassen da, erklärt mir eine ältere Dame, es müsse eben leider heutzutage überall gespart werden. Dafür werfe ich einen Blick vom „Marzahner Ausguck“, einer Anhöhe am Ende des Parks. Plattenbauten unterschiedlichster Jahrgänge, Gewerbeflächen, Brachlandstücke breiten sich vor dem Horizont aus und ergeben ein zerfurchtes Bild. Das Großstadtrauschen ist von hier aus ein kaum hörbares Surren.

Ein Mann steht mit einem Bein im Bambusgestrüpp und nimmt mit seiner Videokamera den „Pavillon des ruhigen Mondscheins“ auf. Eine Touristenattraktion ist der „Garten des wiedergewonnenen Mondes“, der sich seit Oktober 2000 im Erholungspark befindet. Der Mond, in China Symbol für Einheit und Harmonie, soll hier für die deutsche Wiedervereinigung stehen. Es ist der größte chinesische Garten in Europa, entworfen und gebaut von Facharbeitern des Pekinger Instituts für klassische Gartenarchitekur. Die Baumaterialien und Pflanzen sind eigens aus China in Seecontainern hierher verfrachtet worden. Ich komme an einem Stein vorbei, der Glück bringen soll, wenn man ihn berührt. Ein Mann hat sein Portemonaie auf den Stein gelegt und umarmt ihn fest. Dann greift er mit gierigen Bewegungen in jede einzelne Mulde.

Manche Menschen geraten mitunter auf Abwege. Im Chinesischen Garten sind alle Wege deswegen zickzackförmig. Auch die Brücke, die über den See auf die Terasse des Teehauses führt. Dort trinke ich in Ruhe einen Tee, „Gelbe Triebe des Huang-Bergs“. Außerdem koste ich noch vom „Schwarzen Drachen“ und der „Weißen Päonie“.

Dann gehe ich Richtung Ausgang zurück. An der Imbissbude läuft jetzt der „Earth Song“ von Michael Jackson. Die Senioren von vorhin sitzen noch immer hier. Mit dem Bus fahre ich zur nächsten S-Bahn-Station. In der S-Bahn schlafe ich ein.

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