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„Das ist eine Spielhölle“

Rechtsanwalt Klaus Rotter vertritt mehr als 200 Kleinaktionäre, die sich von den Exvorständen der Infomatec AG verprellt fühlen. Ein Musterprozess beginnt heute vor dem Landgericht Augsburg

taz: Um wen handelt es sich bei dem Musterkläger und woher kommen die anderen 200 Geschädigten, die Sie vertreten?

Klaus Rotter: Die Aktionäre sind aus dem gesamten Bundesgebiet, und sie wurden alle durch fehlerhafte Meldungen der Infomatec AG und der Vorstände geschädigt. Aus der Vielzahl der Geschädigten haben wir einen herausgegriffen, einen Metzgermeister aus dem Ruhrgebiet. Er hatte einen Schaden von ungefähr 100.000 Mark. Beantragt ist, dass der Anleger den gesamten Kaufpreis zurückbekommt.

Man spricht von einem wegweisenden Verfahren, das die Situation, die rechtliche Stellung, von Kleinaktionären in Deutschland verändern könnte.

Es ist im Prinzip der erste Prozess, in dem ein Aktionär gegen eine Aktiengesellschaft wegen falscher Ad-hoc-Meldungen klagt. Wenn hier Schadensersatz zugesprochen würde, dann wäre es in der Tat das erste Mal in Deutschland.

Mal Hand aufs Herz: Während des Börsenbooms im vergangenen Jahr haben doch gerade Kleinanleger auf Teufel komm raus gekauft und sich überhaupt nicht mit den Firmen beschäftigt.

Der Musterkläger hat sehr wohl die Firmenmeldungen gelesen. Das können wir nachweisen. Dann hat er auch bei der Gesellschaft nachgefragt: „Wie ist die Auftragslage?“. Und er hat dort die Bestätigung bekommen, die Auftragslage sei hervorragend. Dann hat er sich entschlossen, die Aktie zu kaufen. Wir haben keine Mandanten, die blind Aktien gekauft haben.

Sie fahren ja schwere Geschütze gegen die einstigen Infomatec-Vorstände auf: Falsche Ad-hoc-Meldungen soll es gegeben haben, Surfstations, die nicht funktioniert haben sollen, und sogar falsche Zahlen, was die Bewertung der einzelnen Firmenteile angeht.

Bei Infomatec war es so, die haben nicht nur während der Zeit des Börsenlaufes den Anlegern etwas vorgespiegelt durch verschiedene falsche Meldungen, sondern schon zu Beginn des Börsenganges wurde das Unternehmen viel zu hoch bewertet.

Der realistische Wert zum Zeitpunkt des Börsenganges lag bei fünf Millionen. Die Wirtschaftsprüfer haben aber einen Wert von über 200 Millionen attestiert. Das bestätigt auch ein Rechtsgutachten von Professor Röder aus Münster, das im Auftrag der Staatsanwaltschaft Augsburg erstellt wurde.

Zum Zeitpunkt des Börsenganges waren es fünf Gesellschaften. Davon waren zwei insolvent, wurden aber mit großen Millionenbeträgen bewertet. So, wie es derzeit aussieht, wurde mithilfe der Wirtschaftsprüfer und auch mit Hilfe der WestLB ein Unternehmen an die Börse gebracht, das überhaupt nicht börsenreif war. Und auch die Börsenzulassungsbehörde hat hier bestimmt geschlafen. Insofern war es eigentlich von vornherein, so wie es derzeit aussieht, ein Gründungsschwindel, und wir sind dran, nun diese Sache weiter aufzuklären.

Was würde das für die Anleger ganz konkret bedeuten?

Wenn sich das bewahrheitet, dann müsste fairerweise der gesamte Börsengang rückabgewickelt werden. Alle Anleger, die zu irgendeinem Zeitpunkt Infomatec-Aktien gekauft und verkauft und durch den Kauf und Verkauf Verluste gemacht haben, müssten entschädigt werden.

Noch mal zu den falschen Ad-hoc-Meldungen: Machen Sie doch das einmal an einem Beispiel deutlich.

Da ist beispielsweise der MobilCom-Auftrag. Da hatte Infomatec den Aktionären gemeldet, dass insgesamt ein Vertrag zustande gekommen ist über 100.000 Stück Surfstations. Tatsächlich aber gab es nur einen Vertrag über 14.000 Stück. Die anderen 86.000 Stück, das war im Prinzip nur eine Absichtserklärung.

Das heißt, Kleinaktionäre sind bei uns zu wenig vor solchen Vorgängen geschützt?

Richtig. Was wir in Deutschland brauchen, ist ein besserer Aktionärsschutz. Wenn ein Aktionär bewusst oder leichtfertig von einer Aktiengesellschaft getäuscht wird, muss er einen Schadensersatzanspruch haben, wie es in den USA auch der Fall ist.

Was muss Ihres Erachtens am Neuen Markt geschehen, damit es wieder bergauf geht?

Es wird so ausschauen, dass in den nächsten ein, zwei Jahren noch eine Reihe von Insolvenzen kommen und es eine drastische Marktbereinigung geben wird. Wenn der Nemax um 90 Prozent einbricht, dann ist das nicht nur rein marktbedingt, sondern auch aufgrund der Manipulationen. Diese Manipulationen müssen erst vom Markt, bevor hier wieder ein normales Marktgeschehen möglich ist.

Was raten Sie Ihren Klienten und anderen Kleinanlegern?

Der Neue Markt ist – und das hat schon Kostolany gesagt – keine faire Börse. Das ist eine Spielhölle mit gezinkten Karten. Der Kleinanleger sollte vom Neuen Markt, so lange das alles nicht geklärt ist, die Finger lassen. Möglicherweise wird das alles ein wenig anders, wenn unser Musterprozess gegen Infomatec positiv ausgeht. Dann kehrt bestimmt wieder ein Stück Vertrauen in den Neuen Markt zurück.

INTERVIEW: KLAUS WITTMAN

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