: Unklare Lage für die Verhafteten in Afghanistan
Die von den Taliban festgehaltenen ausländischen Entwicklungshelfer dürften wohl freikommen, meint ein afghanischer Botschaftsrat
BERLIN taz ■ „Ich vermute, die ausländischen Gefangenen werden auf diplomatischem Wege freikommen. Viel schlimmer steht es um die afghanischen Bürger, die ebenfalls festgenommen wurden“, vermutet Abed Nadjib. Der in Berlin residierende Botschaftsrat vertritt allerdings die afghanische Restregierung, die nur noch den Norden des Landes kontrolliert und scharfer Gegner des fundamentalislamistischen Taliban-Regimes ist. Ob die Taliban überhaupt an eine baldige Freilassung der am Wochenende festgenommen Mitarbeiter der Hilfsorganisation „Shelter Now International“ (SNI) denken, ist aber fraglich. Nach in Afghanistan geltendem Recht droht den acht Ausländern, darunter vier Deutsche und 16 Afghanen, die Todesstrafe. Ein Dekret des Taliban-Führers Mohammed Omar sieht für Missionstätigkeit hingegen eine fünfjährige Gefängnisstrafe vor. Ob SNI-Mitarbeiter Mission betrieben haben, ist nicht bewiesen. Nach Angaben der Religionspolizei des Taliban-Regimes sind bei den Verhafteten Bibeln sowie missionarische Videobänder gefunden worden. Zwei der verhafteten Helferinnen hätten gestanden, erklärten die Taliban.
Die Hilfsorganisation SNI, für die die Deutschen gearbeitet haben, ist Mitglied in der Vereinigung der evangelischen Hilfsorganisationen. Das Deutsche Zentralinstitut für soziale Fragen, das spendenwürdige Organisationen registriert, hat über die Tochterorganisation der SNI in Deutschland, Shelter Germany, keine Informationen. Dem Sektenbeauftragten der evangelischen Landeskirche in Niedersachsen zufolge kann die Organisation als christlich-konservativ eingestuft werden. Der verhaftete Leiter des afghanischen Büros, Georg Taubmann, arbeitete seit 1983 in afghanischen Flüchtlingslagern in Pakistan. Erst 2000 nahm er die Arbeit in Afghanistan auf. Der Vizepräsident von Shelter Germany, Joachim Jäger, gab an, alle Aktivisten arbeiteten ehrenamtlich und würden über Spenden finanziert. Ein Sprecher des deutschen Entwicklungshilfeministeriums erklärte gestern, die Organisation sei im vergangenen Jahr einmalig für ihre Arbeit in Pakistan mit 1,1 Millionen Mark bedacht worden.
Das afghanische Taliban-Regime wies indessen jede Kritik an den Festnahmen zurück. „Diese Leute haben unsere Religion und Traditionen schwer beleidigt“, sagte der Staatssekretär des Ministeriums zur Förderung der Tugend und Verhinderung des Lasters, Mohammed Salim Hakkani, in Kabul. Nach unbestätigten Informationen der afghanischen Restregierung in Feisa-Abad wurden neben den ausländischen Helfern insgesamt sogar 55 Afghanen wegen des Vorwurfs, vom Islam abgefallen zu sein, verhaftet. Darauf steht im Taliban-Gebiet die Todesstrafe. Im vergangenen Jahr richteten die Taliban mindestens 15 Menschen hin, darunter aber keine Ausländer.
Die Taliban bestätigten gestern, dass sie eine von den verhafteten SNI-Mitarbeitern geführte Schule geschlossen und die Schüler in eine Besserungsanstalt gebracht haben, wo sie bleiben sollen, „bis alle Spuren des Christentums getilgt“ seien. Von dieser Umerziehungsmaßnahme sollen zwischen 56 und 65 Kinder betroffen sein.
HEIKO HÄNSEL,
YASSIN MUSHARBASH
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