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Die Drucker-Hochburg

■ In der Städtischen Galerie versammeln sich Elite und Dinos der europäischen Druckgraphik

„Die Druckgraphik wird immer mehr zurückgedrängt. Die neuen Medien sind weniger aufwändig, die ziehen junge Künstler stärker an.“ Dieses Resumee von Reinhold Budde (Künstlerhaus am Deich) ist zur Zeit zum Glück so gar nicht verifizierbar – wenn man in die Städtische Galerie am Buntentorsteinweg geht. Dort wimmelt es vor DruckgraphikerInnen jeglicher Couleur, die emsig ihre Stände für die Graphik-Messe „Druckkunst“ aufbauen. Wenn sie nicht gerade beglückt Erfahrungen austauschen.

Organisatorin dieser ersten Druckgraphikmesse ist die Ex-Bremer Künstlerin Gerten Goldbeck, die die Vernetzung der raren Künstler-Spezies auch mit einem zweisprachigen Rundbrief vorantreibt. „Es macht nicht so viel Spaß, allein vor sich hin zu wurschteln – außerdem müssen wir uns gegenseitig Tipps geben, wie man an seltene Farben und Materialien rankommt.“ Oder der Frage nachgehen: Wie muss die Salpetersäure-Mischung schmecken, mit der freigeätzt wird? „Ein bisschen wie Salatessig“, zitiert einer seinen alten Lehrer. Gerne werden auch die alten Picasso-Anekdoten erzählt: Wie der Meister seine Drucker zur Verzweiflung brachte, weil er ihre Steine mit zu aggressiven Säuren ruinierte.

Aus sechs europäischen Ländern und 24 Werkstätten kommen die Diskutanten und Aussteller, am weitesten sind Loit Jõekalda und Urmas Vaino aus Tallin gereist. „Die Szene ist überraschend offen“, sagt Kurt Leidl aus Wien. „Es gibt nur sehr Wenige, die geheimniskrämerisch ihre Farbrezepte hüten.“

Star der Szene ist der Schweizer Ernst Hanke. Vor Jahrzehnten hat er eine alte Steindruckerei in Thun übernommen, in der er Litographien im aufwändigen „Ein-Stein-Druck“ herstellt: Alle Farben werden auf den selben Stein aufgetragen, das heißt, die gesamte Auflage muss mehrmals komplett durchgedruckt werden. Auch die Anwesenheit der KünstlerInnen während des ganzen Druckprozesses ist notwendig, um den Farbauftrag zu kontrollieren. Zum Künstlerstamm des Hauses Hanke gehören Paul Wunderlich aus Hamburg, Vladimir Gazovic aus Bratislava und André Heller. Trotz der großen Namen muss auch für jungen Nachwuchs gesorgt werden. Hanke: „Für uns ist das hier eine ganz wichtige Kontaktbörse.“ Für einen wie Hanke müssen Billigdrucke und Posterflut ein Greuel sein, denkt man. Doch Ernst Hanke sieht das locker: „Mit Irgendwas an ihren Wänden müssen die Leute ja anfangen – um über den teuren Druck dann zum Orignal zu kommen.

Im Obergeschoss der Galerie verbirgt sich eine echte Rarität: Der Stand der Dresdener Lichtdruck-Werkstatt. Das Unternehmen von Dietmar Günther betreibt (noch) die Dinosaurier-Technik unter den Litographie-Druckereien: Seit 1868 wird das Gelantine-auf-Glasplatte-Verfahren erfolgreich angewendet und steht für maximale Originalnähe. Inkunablen wie die Gutenberg-Bibel oder das Lorcher Evangeliar wurden so vervielfältigt.

Doch der Zweite Weltkrieg ließ von dieser Blüte der Faksimile-Kunst so gut wie nichts übrig. Innerhalb Deutschlands hat das Verfahren nur im Osten überlebt (außer in Dresden noch in Leipzig – als indirekte Frucht der Mangelwirtschaft), weltweit soll es höchstens noch vier aktive Werkstätten geben. Dietmar Günther: „Heute gibt es niemand mehr, der noch die Farben, Walzen und das spezielle Filmmaterial herstellt.“ Im Zeitalter des Off-Set-Druckens will sich zweierlei Orange und dreierlei Grautöne in einem Druck offenbar keiner mehr leisten.

Noch nicht akut vor dem Aussterben, aber ebenfalls Relikthaft ist die Arbeit der Messe-Nachbars von schräg gegenüber: Hier hat Kupferstecher Heribert Bücking seine Werkstatt aufgebaut. „Wie einen Geigenbogen ziehe ich den Stichel durch das Metall“, erklärt der Meister poetisch – „eine Konzentrationsarbeit, die schlecht zum modernen Bild des eruptiv schaffenden Künstlers passt.“

Sechs Kollegen hat Bücking noch in Deutschland, aber in der Bundesdruckerei wird seine Kunst überleben – zumindest solange, wie noch Banknoten und Briefmarken gebraucht werden.

Das Bremer Publikum sollte die Anwesenheit der Druck-Koriphäen am Wochenende nutzen – denn im kommenden Jahr wird die Druckgrafikmesse leider nach Hamburg – vermutlich ins Museum der Arbeit – weiterziehen. HB

Die Messe wird heute um 19 Uhr mit Begrüßung und Fest offiziell in der Städtischen Galerie am Buntentorsteinweg 112 eröffnet. Sie ist jedoch schon ab 14 Uhr für die Öffentlichkeit zugänglich. Auch Samstag zwischen 14 und 20 Uhr und Sonntag von 11 bis 16 Uhr gibt es Vorführungen und Werkstattgespräche. Samstag um 19 Uhr gibt es eine große Diskussion über die Situation der Druckgraphik in den verschiedenen Ländern.

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