: Die Giraffe im Lift
Die Berliner Malerin Eva Koberstein gestaltet künstlerische Fahrstuhlkabinen. Und verhindert damit Vandalismus
von CHRISTIAN RATH
Von solchen Horrorgeschichten hat jeder Hausverwalter schon gehört: Jugendliche schieben eine alte Waschmaschine in den Aufzug, setzen sie mit Benzin in Brand und lassen den qualmenden Fahrstuhl in allen Stockwerken halten. Der „normale“ Fahrstuhlvandalismus ist zwar harmloser, aber für die Verwalter ebenfalls lästig: angekokelte Etagenknöpfe, zerkratzte Seitenwände, Urinlachen. Ständig müssen Ersatzteile beschafft und Verunreinigungen beseitigt werden. Das kostet. Aber wenn sich die Verwaltung den Aufwand spart, wirkt das Haus schnell verwahrlost. Immerhin ist ein Aufzug so etwas wie die Visitenkarte des Hauses.
Damit argumentiert auch die Berliner Künstlerin Eva Koberstein, Deutschlands erste und bisher einzige hauptberufliche Aufzugsmalerin. Sie gestaltet Aufzüge und verspricht, dass dies „aggressionsabbauend“ wirke. 1997 etwa bemalte sie die Fahrstühle einer Wohnanlage im schwäbischen Ludwigsburg. Drei Jahre später bescheinigte ihr die Aufzugsfirma Otis: „Bis heute wurde keiner dieser drei Aufzüge in irgendeiner Weise beschädigt.“ Dabei müsse, so Otis weiter, „in Wohnkomplexen dieser Größenordnung bereits kurz nach dem Einbau von Aufzügen mit Beschädigungen gerechnet werden“. Auch die Vorgängerkabinen waren von Vandalismus betroffen.
Gerade hat Koberstein ein Projekt mit sechs individuell gestalteten Aufzügen in Hochhäusern am Berliner Thälmannpark abgeschlossen. Wenn die Kabinentür sich öffnet, blicken die Bewohner zum Beispiel auf eine arktische Landschaft mit Pinguinen, Robben und fliegenden Delfinen. In anderen Kabinen tummeln sich Giraffen und Frösche oder bunte Fische. Wer will, kann ein bisschen schmunzeln, beispielsweise über Giraffen, die ihre Hälse verknoten. Und da sich die Motive auf Augenhöhe konzentrieren, werden die Benutzer auch nicht optisch erschlagen. Im Gegenteil: Dank der raumillusionistischen Gestaltung wirkt der Aufzug heute größer denn je.
Siebzehn Fahrstühle hat Eva Koberstein seit 1993 ausgestaltet. Was als studentische Nebenbeschäftigung begann, wurde in den letzten Monaten zur Haupteinkommensquelle der freischaffenden Künstlerin. Die ursprüngliche Idee zur Kunst im Aufzug hatte aber der Stuttgarter Bauinvestor Thomas Barth, der Miet- in Eigentumswohnungen umwandelt. „Ich wollte den Leuten ein kleines Highlight organisieren, etwas Beschaulichkeit und Freude in der sonst eher angespannten Aufzugssituation“, erinnert er sich. Als pfiffiger Kaufmann hat er aber auch erkannt, dass er mit kaum einer anderen Methode so effizient den Wohnwert eines Hauses erhöhen kann. „Die Sanierung eines Gebäudes kostet schnell mal zwei bis drei Millionen Mark, da ist es doch nur eine Petitesse, wenn ich dann noch achttausend Mark für den Aufzug ausgebe – der dann jedem sofort auffällt.“
Die Aufwertung der Bausubstanz war auch das Ziel manch anderer Auftraggeber. So hat Koberstein jüngst einen Aufzug in Berlin-Hellersdorf bemalt, einer riesigen Plattenbausiedlung, die von zunehmendem Leerstand bedroht ist. „Wir versuchen hier mit vielen Maßnahmen Individualität zu schaffen, damit die Leute sich mit ihrer Umgebung identifizieren können“, erklärt Rudi Kujat, Geschäftsführer der Hellersdorfer Wohnungsbaugesellschaft. „Und die Aufzugsgestaltung gehört natürlich dazu.“
Doch im Vordergrund steht meist die Hoffnung, dass das neue Outfit den Vandalismus in den Aufzügen selbst reduziert. „Wenn anonyme Wohnburgen sich nur durch eine Hausnummer unterscheiden, dann fördert das Aggressionen, die die Bewohner gerne im Aufzug ablassen, wo einen keiner sieht“, glaubt Eva Koberstein. „Dagegen wächst das Verantwortungsbewusstsein, wenn ein Aufzug etwas Besonderes, etwas Individuelles hat.“
Ihr Konzept ist nicht der erste Versuch, gezielt gegen die Gewalt im Fahrstuhl vorzugehen. So kam es etwa Anfang der Neunzigerjahre in Mode, Aufzugskabinen zu verspiegeln. Die Idee war einfach: Die Benutzer sind so damit beschäftigt, sich selbst zu betrachten, dass sie nicht auf dumme Gedanken kommen. Der eine oder andere mag sich von seinem Ebenbild sogar beobachtet fühlen und deshalb ein Fehlverhalten unterlassen. Wolfram Tarras, Abteilungsleiter bei „Wohnen in Prenzlauer Berg“, ist von verspiegelten Aufzügen allerdings nicht mehr begeistert: „Die meisten Leute sehen sich eben doch nicht so gerne im Spiegel.“ Und seit das Scratchen, vulgo: Kratzen, mit Schlüsseln in ist, hält er Spiegel sogar für „geradezu ungeeignet“, Vandalismus zu verhindern. Auch das Auswechseln eines zerkratzten Spiegels kostet rund tausend Mark.
Andere Unternehmen setzen eher auf die Videoüberwachung ihrer Aufzüge. Oft kommen entsprechende Forderungen sogar von den Bewohnern des Hauses. Rechtlich zulässig ist die Installation von Kameras, wenn auf die Überwachung ausdrücklich hingewiesen wird. Dass aber ein Sicherheitsdienst permanent den Monitor beobachtet, kommt schon aus Kostengründen kaum in Betracht. In der Regel werden die Aufzeichnungen nur angesehen, wenn es gilt, Beschädigungen aufzuklären. Doch selbst bei dieser Minimallösung sind allein für die Anschaffung einer Videoanlage einige tausend Mark zu veranschlagen. Die Kunstinstallation in der Aufzugskabine ist also nicht unbedingt teurer als andere Methoden der Gewaltprävention, sie hat aber eine deutlich positivere Ausstrahlung.
Doch wenn man schon auf individuell gestaltete Aufzüge setzt, warum lässt man dann nicht die Jugendlichen eines Hochhauses selbst an die Farbtöpfe? Eva Koberstein findet die Vorstellung furchtbar, „grellbunte aufgeblasene HipHop-Buchstaben“ nun auch noch in Fahrstühlen vorzufinden. „Das kann man schon den übrigen Bewohnern eines Hauses kaum zumuten“, gibt sie zu bedenken. Ein Aufzug sei nun mal ein heikler Raum, der bei vielen Menschen ungute Gefühle bis hin zur Platzangst auslöse. „Da ist Professionalität gefordert“, sagt die professionelle Aufzugsmalerin.
Tatsächlich hat wohl niemand so viel praktisches Wissen in dem Metier wie sie. So hat sie etwa die Erfahrung gemacht, dass dunkle Farben ungeeignet sind, „weil dann die abdeckende Glasplatte spiegelt“. Auch müsse man in der Kabine genügend Freiflächen lassen, „damit die Leute auch mal wegschauen können“. Schließlich überdauert eine Aufzugsgestaltung – so sie nicht zerstört wird – durchaus bis zu 25 oder 30 Jahre. Koberstein versucht deshalb, Modethemen zu vermeiden und setzt auf zeitlose Motive, vor allem aus der Tierwelt.
Was aber sagen nun die Bewohner zu ihren neuen Aufzügen? Eine Stichprobe am Thälmannpark ergibt ein überwiegend positives Bild. „Mal was anderes“, urteilen viele, oder: „Ganz witzig.“ Die Leute freuen sich vor allem, dass die heruntergekommmenen Kabinen ersetzt wurden. Nur drei Frauen um die fünfzig fühlen sich von den spielerischen Motiven nicht ganz ernst genommen. „Das ist doch eher was für die Kinderklinik“, nörgelt eine. Aber sie hat ja noch einige Jahre Zeit, die Feinheiten in den Frosch- und Giraffenbildern zu entdecken.
CHRISTIAN RATH, 36, ist rechtspolitischer Korrespondent der taz und lebt in Karlsruhe
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