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Der Film von morgen als ein Akt der Liebe

Der Mann, der das Kino liebte: Anlässlich der Wiederaufführung von Jean-Luc Godards „Außer Atem“, zu dem François Truffaut das Drebuch schrieb, zeigt das Lichtblick-Kino eine kleine, aber feine Truffaut-Reihe, inklusive der Wiederbegegenung mit seinem Alter Ego Antoine Doinel aka Jean-Pierre Léaud

Truffauts letzte Liebeserklärung an ein von ihm verehrtes Genre

Als François Truffaut Ende der Fünfzigerjahre zusammen mit Jean-Luc Godard, Claude Chabrol und Co. den Stift des zornigen Filmkritikers gegen den Regiestuhl eintauschte, wurde ein Kind aus der Taufe gehoben, das dem europäischen Kino zu neuem Schwung verhalf: die Nouvelle Vague. Man schielte nach Hollywood und vor allem zu Hitchcock und Welles, aber auch auf die vergangene Filmkunst eines Jean Renoir, und man verachtete den verstaubten und erstarrten psychologischen Realismus des französischen Films. Den „Vandalen mit Maßen“ ging es um ein neues Diktum, das so neu gar nicht war: die Handschrift des Regisseurs in jeden Film einzutragen ohne sie sichtbar zu machen, egal um welches Genre es sich auch handelte. Der Schlachtruf des „Kinos der Autoren“ wurde in die Welt geschickt, und er wurde erhört.

Nachdem der kommerziell erfolgreichste Film der Neuen Welle, „Außer Atem“ von Altmeister Godard, kürzlich wieder in die Kinos gelangt ist, zeigt nun das kleine Kino Lichtblick in Prenzlauer Berg eine ausgewählte Werkschau des einstigen Weggefährten, der das Skript zu dem Film verfasste: François Truffaut, der 1984 im Alter von nur 52 Jahren starb. Insgesamt drehte Truffaut 21 erfolgreiche und weniger erfolgreiche Filme. Was diese auszeichnet, ist die Leichtigkeit und der zärtliche Ton seinen Figuren gegenüber, der zwischen heiterer und trauriger Komik wechseln kann.

Bevor Truffaut jedoch Regisseur wurde, war er vor allem eingroßer, leidenschaftlicher Cineast, der sich als Kind ins Kino stahl, wenn er eigentlich auf der Schulbank sitzen sollte. Kino, das bedeutete für den kleinen François ein Ort des Verbotenen und versteckter Lust, dem er „immer näher kommen wollte“ – so wie sich das Kino dann auch für sein Alter Ego Antoine Doinel, den 13-jährigen Protagonisten seines Erstlingsfilms „Sie küssten und sie schlugen ihn“ von 1958, darstellte. Der Filmnarr Truffaut fand sich in Helden, die keine waren, die im Leben eher zu kurz gekommen waren oder ihre Schwierigkeiten hatten. Deshalb mochte er keine Western, Science-Fiction- Filme oder Historienschinken, umso mehr liebte er Detektivgeschichten und Liebesfilme.

Und wenn man an Truffaut denkt, dann muss man an die Liebe denken. „Der Film von morgen“, schrieb der visionäre Filmkritiker 1957, „wird ein Akt der Liebe sein.“ Et voilà! Truffaut drehte über die Liebe, verpackte sie in unterschiedliche Genres und scheute auch nicht das Triviale – was an sein großes Vorbild Hitchcock erinnert. Mit ihm teilte er auch seine Vorliebe für schöne Frauen und Fetische: die weiblichen Waden zum Beispiel, denen er sogar einen ganzen Film, „Der Mann, der die Frauen liebte“ (1977), widmete. Dennoch wirken Truffauts Frauenfiguren meist stärker als ihre männlichen Gegenparts, leben selbstständiger und haben eigene Bedürfnisse und Wünsche, die sie zu verwirklichen versuchen. Die Liebe scheint bei Truffaut oft unmöglich, manchmal endet sie tragisch, dann wiederum zeigt sie sich durchaus ironisch, mitunter eher flüchtig. Wenn der zwanzigjährige Antoine in „Geraubte Küsse“ (1970) am Ende seiner Freundin Christine nach der ersten Liebesnacht am Frühstückstisch einen Flaschenöffner als Verlobungsring an den Ringfinger steckt und ihr damit einen Heiratsantrag macht, dann geschieht das fast beiläufig, alltäglich, ohne jede große Geste. Nur in wenigen Filmen spielt die Erotik keine Rolle. „Fahrenheit 451“ (1966) kreist nicht um die romantische Liebe. Dafür geht es um ein Begehren, das für Truffaut wenigstens ebenso typisch ist und in vielen seiner Filme aufgegriffen wird: die Liebe zum Buch, zum Lesen.

Dass die Werkschau mit Truffauts letztem Film „Auf Liebe und Tod“ (1982/83) beginnt, liest sich als ein Aufrollen vom Ende her, das aber viel mit seinen Anfängen als Filmautor zu tun hat. Hier nämlich macht Truffaut zum letzten Mal eine Liebeserklärung an ein von ihm verehrtes Genre, die Schwarze Serie Hollywoods, und spielt seine Begeisterung für Kinomythen wie James Cagney, Edward G. Robinson und Humphrey Bogart ganz offen an. Hauptdarstellerin Fanny Ardant läuft in dem in bester B-Picture-Manier gedrehten Schwarzweißfilm in einem Trenchcoat herum und erinnert an den coolen Bogart der Vierziger. Gut zwanzig Jahre nach dem kettenrauchenden Belmondo, der den amerikanischen Schauspieler schon in „Außer Atem“ zutiefst bewunderte und in seinen Gesten imitierte, hat dieser sich in eine Sekretärin verwandelt. Nicht nur, dass Ardant ihren Chef, der sich wegen Verdachts auf zweifachen Mord im Keller seiner Agentur verstecken muss, schützt, sie selbst wird zur Detektivin. Zum Schluss darf sie Jean-Louis Trintignant sogar zum Traualtar führen. Die Zeichen haben sich auf den Kopf gestellt, durchaus spielerisch und äußerst vergnüglich.

CHRISTIANE BREITHAUPT

„Auf Liebe und Tod“ und „Fahrenheit 451“ 11. 8.–15. 8., „Geraubte Küsse“ 6.–22. 8., im Lichtblick-Kino, Kastanienallee 77, Prenzlauer Berg, Telefon: 44 05 81 79. Die Reihe wird im September fortgesetzt.

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