S.O.S. der Wahl

■ Testen Sie sich selbst: Kann outgesourctes Brainstorming vier Jahre Politik wettmachen?

„Hier in Hamburg, da haben Politiker die Bürger so verdroschen, ääh, verdrossen, dass kaum noch jemand wählen geht. Das darf nicht sein, dachten sich die Repräsentanten ihrer selbst und beauftragten eine Werbeagentur damit, ihre Untertanen mit Plakaten, Kinospots und Lollies zum Wählen zu motivieren. Dafür nahmen sie 250.000 Mark aus dem Stadtsäckel, und den Auftrag bekam eine Agentur, die den Namen mit dem derzeitigen Innensenator teilt, der sich bisher eher als Freund von Brechmitteln einen Namen gemacht hat, aber vielleicht passt das ja auch, ääh, irgendwie, Scholz and Friends, ääh. Das Wetter.“

Eigentlich hätte Ulrich Wickert die Hamburger „Wahlmotivationskampagne“ trefflich zwischen Nachrichten von Welt und Wetter in die „tagesthemen“ einbauen können. Aber die Personifikation von Moral und Demokratie hat sich lieber zum Anchorman einer Kampagne machen lassen, die die Hamburger am 23. September an die Wahlurnen locken soll.

Weil die Wahlbeteiligung von den rund 80 Prozent der 70er und 80er Jahre Anfang der 90er Jahre auf 66 Prozent eingebrochen war und 1997 nur bei 68,7 Prozent lag, soll eine Kampagne notankern: „Das Parlament ist das Herz der Demokratie, das Volk seine Seele“, staatstrug Bürgerschaftspräsidentin Dorothee Stapelfeldt gestern. 250.000 Steuermärker hat die Bürgerschaft dafür genehmigt und Repräsentanten unterschiedlicher Zielgruppen wie Heidi Kabel, Ulrich Wickert, Lilo Wanders, FC St. Pauli-Präsident Reenald Koch und Lotto King Karl gewonnen. Die verlassen auf Plakaten jeweils fluchtartig ihre hochwichtigen Aufgaben für eine noch wichtigere: „Bin kurz wählen“ steht neben verlassenem Moderatoren-Sessel, verlassenem Tor, Heidi Kabels dickem Mercedes oder der verlassenen Bühne. Ab heute ist „Hamburg geht wählen. Geh mit“ in der ganzen Stadt plakatiert und läuft in Kino und Radio.

Ein kleinkrämerischer Antidemokrat, wer da einwenden würde, die Politiker hätten Brainstorming nicht outsourcen sollen, sondern mit Selbstreflexion und Bürgergesprächen leicht herausfinden können, dass es an ihnen höchstselbst liegt, wenn die Wahlbeteiligung so verdrossen niedrig ist.

Sandra Wilsdorf