pickpockets
: Paare, Romane: Männer, Frauen und – ach! – die Liebe

Kureishis Gefühle

Als ein Manifest romantischer Liebesideen erschien 1799 Friedrich Schlegels kleiner Roman „Lucinde“. Es ging darin um die „Verschmelzung von Seelen und Leibern, um die Einmaligkeit einer Beziehung zwischen einem ganz bestimmten Mann und einer ganz bestimmten Frau, um die Auflösung, ja gelegentliche Umkehrung der seit Jahrtausenden festgelegten Geschlechterrollen und um die ‚Ergänzung‘, das Ganzwerden der Liebenden durch das geliebte Gegenüber“. In ihrer großen Studie „Bettine Brentano und Achim von Arnim“ mit dem Untertitel „Lehrjahre einer Liebe“ grundiert Hildegard Baumgart die Geschichte dieser Beziehung mit Schlegels sentimentalem Ideal, denn die Liaison des romantischen Dichters mit der schwärmerischen Bettine schien bereits den Zeitgenossen als Inkarnation solcher Ideen.

Vor der Heirat mit Achim von Arnim hatte die damals 22-jährige Bettine 1806 Goethe besucht und um diese Audienz dann allerlei Andeutungen und Zweideutigkeiten in die Welt gesetzt. Goethe hatte soeben seine langjährige Geliebte Christiane Vulpius geheiratet und auf diese Weise gesellschaftlich legitimiert. Sigrid Damms „Christiane und Goethe“, ein hochspannendes und informatives Lebensbild aus biografischen Bruchstücken, geht natürlich auch auf diese skandalumwitterte Begegnung ein. Bettine ätzte über Christiane als eine „Blutwurst, die toll geworden ist“. Sigrid Damms Buch ist eine fulminante Ehrenrettung dieser Frau, die ihre enorme Lebensenergie im Privaten entfaltete. „Im Hinblick auf sich selbst verbrauchte sie diese Lebensenergie wohl, um die zu sein und die vorgeben zu können, als die Goethe sie sich wünschte, und die er in ihr sah: ‚ein Geschöpf, das in glücklicher Gelassenheit den engen Kreis seines Daseins hingeht, von einem Tag zum andern sich durchhilft‘.“

Literarische Denkmäler hat Goethe seiner Frau nicht gesetzt. Dafür war die Beziehung wohl zu pragmatisch orientiert. Zu poetischen Phantasmagorien wird eher das, was unerreichbar bleibt oder verloren geht. Geradezu idealtypisch für diesen kompensatorischen Reflex ist die Beziehung Friedrich Hölderlins zu Suzette Gontard, der Frau des Kaufmanns Gontard, in dessen Haus Hölderlin drei Jahre als Hauslehrer lebte. In ihrer Doppelbiografie „Hölderlin und Diotima“ beschreibt Beatrix Langner, wie die unmögliche Liebe zwischen dem Dichter und Suzette von Hölderlin ins Poetische transformiert wurde, indem er seine Geliebte in die Gestalt der Diotima seines Romans „Hyperion“ umwandelte.

Von Schlegels „Ganzwerden der Liebenden durch das geliebte Gegenüber“ ist in den erotischen Erzählungen Hanif Kureishis keine Rede mehr. Es geht sehr viel direkter um das, was in der Intimsphäre von Paaren vor sich geht. Die vier Storys, auf deren Motiven Patrice Chéreaus Film „Intimacy“ basiert, sind jetzt mit einem interessanten Vorwort erschienen, in dem Kureishi über seine Zusammenarbeit mit dem Regisseur berichtet. Besonders bemerkenswert ist es, dass der Autor sich fragt, „ob Sexualität sich nicht doch besser literarisch als filmisch darstellen läßt“, da das Zuschauen „kaum etwas von der Vielschichtigkeit der Gefühle“ vermittele, sondern uns bloß bewusst mache, „daß wir da einen einstudierten sexuellen Akt beobachten“. Lesen wir also Hanif Kureishi – oder Hölderlin.

KLAUS MODICK

Hanif Kureishi: „Intimacy“. rororo, 253 Seiten, 16,90 DMBeatrix Langner: „Hölderlin und Diotima“. insel tb, 228 Seiten, 18,90 DMSigrid Damm: „Christiane und Goethe“. insel tb, 541 Seiten, 22,90 DMHildegard Baumgart: „Bettine Brentano und Achim von Arnim“. btb, 493 Seiten, 24 DM