: Fanatiker des Funktionierens
DAS SCHLAGOCH von KERSTIN DECKER
Es ist leichtsinnig, in den Urlaub zu fahren. Gerade jetzt. Auch, wenn man gar nicht sieben Wochen weg ist wie unser Kulturstaatsminister, den sie in der eigenen Behörde nun Nie-da-Rümelin nennen. Selbst wer bloß zwei Wochen das Land verlässt, riskiert, den Faden zu verlieren. Den deutschen Wirklichkeitsfaden.
Günter Schabowski ist jetzt Berater des Berliner CDU-Kandidaten Frank Steffel! Und Vera Lengsfeld hat ihn vorgeschlagen. – Das war die erste Nachricht, die den arglosen Italien-Rückkehrer traf. Die Meldung, Joschka Fischer habe Journalisten als „Fünf-Mark-Nutten“ angetitelt und bekomme dafür ab sofort einen Image-Berater, mal nicht mitgerechnet. Noch hätte man zurückfahren können. In Italien regiert zwar Berlusconi, aber am Strand merkt man das gar nicht. Und wer will schon nach Genua? Würde Berlusconi Journalisten auch „Fünf-Mark-Nutten“ nennen? Gewiss nur die von Rai Uno. Nein, die Nachricht, dass Ex-Politbüromitglied Günter Schabowski jetzt Berater von CDU-Steffel ist, wirkte entschieden futuristischer als die Außenminister-Nachricht.
Am besten, über Hessen zurück nach Berlin fahren und selber nachschauen, ob Schabowski noch da ist. 1998 habe ich ihn schon mal in Hessen besucht. Man fährt über Guntershausen, Röhrenfurth, Melsungen nach Rotenburg. Sehr kleinbürgerliche Landschaft. Lauter Auf- und Abschwünge, schwankend, ohne festen Standpunkt. Nichts für Kommunisten. Und die vielen Türme! Man konnte sich Honecker in Chile vorstellen, aber Schabowski in Rotenburg?
Manchmal haben Städte wie Rotenburg eine eigene Zeitung und die heißt dann Heimatnachrichten. Die Rotenburger Heimatnachrichten hatten den berühmtesten Layouter Deutschlands. Er layoutete Angebote wie „Wir bringen Ihren Alten um die Ecke! Diesen Service bietet Ihr Fachhändler“ oder Aufrufe: „Bereit zur Organspende?“ sowie Artikel, die überschrieben waren: „Familie mit fünf Kindern verlor den Ernährer. Initiator ist die Erzeugergemeinschaft ‚Löwenei‘.“ Schabowski layoutete einfach alles. Schließlich hatte er vorher auch schon mal eine Zeitung gemacht. Und die Überschriften. Die Zeitung hieß Neues Deutschland. Egon Krenz dagegen, wenn er nicht gerade in der Haftanstalt Plötzensee übernachtet, befasst sich inzwischen tagsüber mit dem Sanitärwesen. Krenz kommt gar nicht aus dem Sanitärbereich.
Berater wird Schabowski also. Imageberater gewissermaßen. So einer, wie ihn unser Außenminister jetzt bekommen soll. Schabowski würde niemals „Fünf-Mark-Nutte“ sagen. Er sagt viel lieber „diese Strolche“. Das klingt pekuniär neutraler. „Niemand von diesen Strolchen . . .“ Wenn Schabowski „Strolche“ sagt, meint er meist gar keine Journalisten, auch nicht den Staatsanwalt vom „Politbüro-Prozess“, sondern fast immer die PDS. Schabowski mag die PDS nicht. Sie hat ihn im Januar 1990 aus der Partei ausgeschlossen.
In Rotenburg bei den Heimatnachrichten hat mir Schabowski erklärt, wie ein Kommunist funktioniert: „Wissen Sie, der Feind lauert überall, im Scheißhaus und in jeder Rockfalte.“ Das müsse man verstehen, sagte er, dieses Psychogramm eines Kommunisten, sonst begreife man überhaupt nichts. Erst recht nicht das eigene Leben. „Der Kommunist“, schloss Schabowski und lehnte sich tief in seinen Stuhl zurück, „der Kommunist braucht immer einen Tritt in den Arsch.“
Genau das meint Steffel doch auch. Wenn er könnte, hätte er das bestimmt so formuliert. It’s the beginning of a wonderful friendship. Strieder von der SPD glaubt, als Nächstes holt sich Steffel den DDR-Devisenbeschaffer Schalck-Golodkowski als Wirtschaftsberater. Denn wie hatte Steffel das gesagt? Nicht alle, die zu den Staatsnahen gehörten, hätten wirklich eine Chance bekommen.
Stimmt. Egon Krenz zum Beispiel. Egon Krenz schreibt heute manchmal Leserbriefe aus der Haftanstalt Plötzensee ans Neue Deutschland und zwischendurch Berufungen an den Europäischen Gerichtshof. Leserbriefe ans Neue Deutschland! Genau aus dem Gefängnis, in dem die Nationalsozialisten immer die Antifaschisten einsperrten. Das Schöne an der Geschichte ist, dass sie so viel Sinn für Humor hat. Krenz’ Leserbriefe handeln auch meist von ihr, von der Geschichte. Und die Berufung erst. Eben jetzt, am 13. August, dachten wir kollektiv zurück in die Geschichte. Wer wollte, konnte dabei auf die innerste Aporie deutsch-deutscher Geschichtsbewältigung seit 1989 stoßen. Bis 1989 hielt die alte Bundesrepublik die DDR für einen sowjetischen Satelliten und sagte das auch. Nach 1989 verurteilte sie die DDR wegen ihres souveränen Grenzregimes.
„Wissen Sie, was der Staatsanwalt zu mir gesagt hat? ‚Sie Schreibtischmörder!‘ hat er gesagt!“ Schabowski war empört beim Politbüro-Prozess. Krenz auch. Das Verlangen nach dem Prozess verstand er, dieses Es-muss-doch-jemand-schuld-gewesen-sein-Bedürfnis. Und natürlich sei er schuld gewesen, aber doch nicht so. Nicht so, dass der Staatsanwalt „Sie Schreibtischmörder!“ zu ihm hätte sagen dürfen.
Aber jetzt ist Schabowski CDU- Berater und Krenz wohnt immer noch in Plötzensee. Wie konnte das passieren? Diese Gesellschaft mag es, wenn man Reue zeigt. Wenn man sich entschuldigt. Eigentlich könnte sich unser Außenminister auch bei den „Fünf-Mark-Nutten“ entschuldigen. Und bei den Besserverdienenden gleich mit. Bockige Kinder dagegen mag diese Gesellschaft überhaupt nicht. Krenz wurde ein bockiges Kind. Sein Stolz war getroffen.
Solche Rücksichten brauchte Schabowski nicht zu nehmen. Seine Reue war echt. Nur war sie nicht moralisch. Denn das Ex-Politbüromitglied, der einstige 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung Berlin und Chefredakteur des Neuen Deutschland, Günter Schabowski, ist kein moralischer Mensch. Schabowski war neben Mielke der Einzige, vor dem wir richtig Angst hatten in der DDR. Schabowski war eiskalt. So stand er noch Anfang 1989 vor den Sozialwissenschaftlern der Humboldt-Universität und schrie, was sie denn glauben würden, wo sie hier seien? Etwa in der Sowjetunion? Aber noch sei es nicht so weit, noch denke hier niemand auf eigene Faust! – Ein Stalinist im nachstalinschen Zeitalter. Ein Machtmensch, der schon keine reale Macht mehr hatte.
Nur eins können Machtmenschen nicht ausstehen. Dinge, die nicht funktionieren. Irgendwann im Winter 1990 begriff Schabowski, dass der Sozialismus nicht funktionieren konnte. Selbst mit ihm als Ingenieur der letzten Stunde nicht. Da begann er ihn zu hassen. Dann lieber Layouter bei den Rotenburger Heimatnachrichten. Denn der „Apple-Macintosh“ funktioniert. Er hat mir die kompletten Heimatnachrichten auf dem „Apple-Macintosh gezeigt: „Wird es wieder Flussbiber in der Fulda geben?“, „Bekommt Rotenburg die Halfpipe?“ und „Ihr Horoskop“.
Am Anfang hat das Ex-Politbüromitglied die Horoskope selbst geschrieben. Schwierig war nur, dass es immer so viele Sternzeichen waren und sich nichts wiederholen durfte. Das unterschied die Horoskope vom Neuen Deutschland. Ich bin dann doch gleich nach Berlin gefahren und habe in Rotenburg angerufen. Die Heimatnachrichten gibt es nicht mehr.
Kerstin Decker lebt als freie Autorin im Ostteil Berlins.
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