„Die Grünen merken nichts“

Daniel Cohn-Bendit wirft den deutschen Grünen im taz-Interview Ignoranz gegenüber den Kritikern der Globalisierung vor. Er möchte die EU zur Gegenmacht zum Neoliberalismus der USA ausbauen

BERLIN taz ■ Daniel Cohn-Bendit, derzeit für die französischen Grünen im EU-Parlament, wirft der deutschen Schwesterpartei in ihrer Haltung gegenüber den Globalisierungskritikern politische Ignoranz vor. „Wir haben es hier mit der Bewegung, wenn nicht des Jahrhunderts, so doch des Jahrzehnts zu tun, die Politiker zwingt, neue und wichtige Fragen aufzugreifen, und die Grünen merken es nicht“, so Cohn-Bendit im taz-Gespräch. Gleichzeitig bescheinigt er Bundesaußenminister Joschka Fischer die „Wahrnehmung eines Herrschenden“, der nicht mehr merke, dass die kleinen Erfolge des Regierungshandelns von einer „moralischen Generation angesichts der Armut und Ungleichheit in der Welt als völlig ungenügend betrachtet werden“.

Cohn-Bendit sieht die Gefahr, dass sich seine Generation heute genauso verhält wie in den Siebzigerjahren die Regierung Helmut Schmidt gegenüber den Atomgegnern und der pazifistischen Bewegung. Schmidts damalige Unfähigkeit, die tiefere Dimension der Proteste wahrzunehmen, hatte zur Gründung der Grünen geführt. Um das Vertrauen der Globalisierungskritiker wiederzugewinnen und dem „moralischen Impetus dieser Bewegung zu begegnen“, schlägt Cohn-Bendit den sofortigen Schuldenerlass für die vierzig, fünfzig ärmsten Länder vor.

Die EU ist für Cohn-Bendit eine der wichtigsten Gegengewichte zum Neoliberalismus. Denn im Gegensatz zur UNO oder zur OSZE gebe es in der EU Versatzstücke demokratischer Institutionen. Was jetzt noch fehle, sei eine europäische Verfassung, „damit die Handlungsweisen und die Teilung der Gewalten innerhalb der EU demokratischen Ansprüchen gerecht werden“. Eine solchermaßen politisch ausgestaltete EU wäre nach Ansicht von Cohn-Bendit in der Lage, dem neoliberalen Projekt, das geschichtlich durch die USA und ihr „trojanisches Pferd England“ in Europa vertreten sei, als politische und kulturelle Gegenmacht entgegenzutreten.

Der globalisierungskritischen Organisation Attac wirft Cohn-Bendit in der Gewaltdebatte Opportunismus vor. Wer wie Attac die Parole der Diversität der Strategien ausgebe, der nehme in Kauf, dass die Militanten der Bewegung ihren Stempel aufdrücken. EBERHARD SEIDEL