: Die Einkehr nach der Rückkehr
Nach dem Gipfel von Genua saßen sie in Haft. Zurück in Berlin versuchen drei Studenten das Erlebte zu begreifen – und fragen sich, ob die Tage in Italien ihr Leben verändern: „Ehrlich gesagt, weiß ich gar nicht, wie es traumatechnisch in mir aussieht“
von STEPHANIE VON OPPEN
Das Schönste war das WG-Essen, als er aus Genua zurückkam. „Stampfkartoffeln und Schnittbohnen“ hätten seine Mitbewohner für ihn gekocht, erzählt Steffen Sibler. In der Nacht zum 23. Juli war der 23-jährige Berliner in der Genueser Armando-Diaz-Schule von prügelnden Carabinieri aus dem Schlaf geschreckt worden. Von außen erinnert an die schwere Kopfverletzung nur noch ein ausrasiertes Oval zwischen den langen Locken, durch das sich eine lange Narbe zieht. Darunter jedoch spuken immer noch die Bilder jener Nacht: Von den schwarz vermummten Männern, die „ohne Hektik minutenlang gezielt ihre Schläge setzten“, von den Blutlachen überall, von den Misshandelten um ihn herum, denen „der Schock ins Gesicht geschrieben stand“. Er fühle sich ausgelaugt wie nach einer Grippe, habe aber keine Panikattacken und Albträume, sagt Steffen. „Ehrlich gesagt, weiß ich gar nicht, wie es traumatechnisch in mir aussieht, aber ich glaube, ich bin mit dem Verarbeiten noch nicht besonders weit.“
Ähnlich geht es seinem Freund Daniel Albrecht, den der Schlägertrupp so malträtierte, dass ihm ein Hämatom unter der Schädeldecke herausoperiert werden musste. Danach lag er tagelang auf einer Intensivstation – immer im Angesicht seiner bewaffneten Bewacher. „In der vergangenen Nacht habe ich zum ersten Mal davon geträumt, dass alles voll war von Carabinieri und ich Angst hatte, an denen vorbeizulaufen“, erzählt Daniel, der um seinen rasierten Kopf ein blaues Tuch geschlungen hat.
Eigentlich möchte er so schnell wie möglich in sein normales Leben zurück. Aber wenn er zum Beispiel auf einer Party Spaß haben wolle, dann seien da garantiert irgendwelche Leute, die seine Narbe am Kopf sehen und „super betroffen sind, und dann habe ich das Gefühl, ich entspreche mit meiner guten Laune nicht deren Erwartungen, wie es mir gehen müsste“.
Auch Katharina Zeuner, die mit Daniel und Steffen zusammen zum Gegengipfel gereist war, fällt es schwer, in den Alltag zurückzukehren. Für sie ist es zwar in der Diaz-Schule einigermaßen glimpflich ausgegangen, umso traumatischer waren ihre Erfahrungen in der Polizeikaserne von Bolzaneto. Zwei Tage und zwei Nächte war sie dort mit dreißig anderen Leuten in einer Zelle eingepfercht. Sie und die Mitgefangenen verbrachten die erste Nacht an der Wand stehend. „Es war eine Atmosphäre der absoluten Angst, wir haben nicht mal gewagt, uns anzugucken“, erinnert sich Katharina. „Wir hatten das Gefühl, die haben die komplette Macht über unser Leben.“
Die drei Studenten kämpfen nicht nur mit ihren Erinnerungen, ihre Gedanken sind auch bei den noch Inhaftierten in Genua. So ziehen sie in Berlin von einem Termin zum anderen, besuchen Vollversammlungen und organisieren Solipartys, um die Gefangenen zu unterstützen, die Öffentlichkeit aufzurütteln.
Katharina, Daniel und Steffen gehören keiner politischen Organisation an. Sie sind aber Teil eines größeren Freundeskreises, der sich seit Jahren immer wieder zusammenfindet, um politisch zu diskutieren oder auch gemeinsam auf Demonstrationen zu gehen.
Die Gipfeltreffen der acht Mächtigen der Welt sind für sie zum Symbol einer ungerechten Weltwirtschaftsordnung geworden. „Das nennt sich Globalisierung, aber eigentlich ist es das Gegenteil, es geht darum, bestimmte lokale Märkte zu schützen und das, was an die Öffentlichkeit getragen wird, ist ein bisschen Geld für den Aidsfonds und minimaler Schuldenerlass“, kritisiert Steffen.
Wenn Daniel über den G-8-Gipfel spricht, dann bebt er beinah: „Es empört mich zutiefst, wie sich die acht Chefs da inszenieren und Entscheidungen zu Gunsten der Wirtschaft treffen. Es geht hier nicht um die Menschen der ganzen Welt, das trifft mein elementares Gerechtigkeitsbewusstsein.“
Die Erfahrungen in Genua bestärken die drei Freunde in ihrem politischen Engagement. Allerdings wollen sie bei der nächsten Gelegenheit nicht gerade in der ersten Reihe mitlaufen, sondern lieber „Transparente malen und das Infotelefon besetzen.“
Dass die deutsche Regierung sich im Umgang mit den Italienern zurückhält, können die drei nicht nachvollziehen. Die Aussage von Bundesaußenminister Joschka Fischer, er „vertraue auf den italienischen Rechtsstaat“, halten sie für zynisch. Am schlimmsten haben sie jedoch die Stimmungsmache gegen die Demonstranten vor dem Gipfel empfunden. Ob die italienische Staatsanwaltschaft noch Klage gegen sie erheben wird, wissen sie noch nicht. Sicher ist, dass sie gegen die italienischen Behörden klagen und Schadensersatzansprüche stellen werden. Von der deutschen Regierung, allen voran Außenminister Fischer, erhoffe sie sich keine Unterstützung, so Katharina: „Spätestens seit die Grünen an der Regierung sind, habe ich sie eh abgehakt.“
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