: Weniger Lust auf Dollar
Als der IWF das Bilanzdefizit in den USA beklagte, begann die Flucht aus dem Dollar. Kein Grund zur Freude für Europäer
von KATHARINA KOUFEN
Die einen reden von einem Dollar-Abschwung, die anderen von einem Euro-Hoch. Sicher ist: Seit fast sechs Wochen steigt die Einheitswährung im Vergleich zum US-Dollar, aber auch zum japanischen Yen fast ohne Unterbrechung. Lag ihr Kurs Anfang Juli noch bei etwa 83 Dollarcents, überschritt er Anfang der Woche die 90-Cent-Marke und stieg dann rasant weiter – gestern vorübergehend bis zu 92 Cent.
Nimmt eine Währung erst einmal eine „psychologisch wichtige“ Hürde – wie etwa die von 90 Cent –, dann gewinnt ihr Kurs automatisch an Dynamik. Das liegt daran, dass die großen Geldanleger in ihren Computern Höchst- und Mindestschwellen für Aufträge einspeichern, und die liegen oft bei geraden Werten. Werden diese erreicht, schicken die Computer ihre Kaufwünsche auf den Markt und heizen damit die Euro-Nachfrage zusätzlich an.
Hat sich das Blatt nun gewendet? Vor einem Jahr hätte die Alternative noch „Dollar-Hoch“ und „Euro-Schwäche“ geheißen. Die gängigste Begründung für den schwachen Euro lautete damals, die US-Wirtschaft sei eben so stark, da könnten die Europäer nicht mithalten. Mittlerweile ist der Boom zu Ende. Die Wirtschaft ist im zweiten Quartal 2001 nur um 0,7 Prozent gewachsen. Im gesamten letzten Jahr waren es 5,2 Prozent gewesen. Nun lamentiert die Finanzwelt über die „traurige US-Konjunktur“. Nicht ganz in dieses weinerliche Szenario passt allerdings, dass der Dollar noch Anfang Juli ein Rekordhoch erreicht hat – obwohl längst klar war, wie stark die US-Konjunktur bereits eingebrochen ist und im Laufe des Jahres einbrechen würde.
Viele Währungsexperten haben es daher längst aufgegeben, jedes Auf und Ab des Euro deuten zu wollen. „Kaffeesatzleserei“ nennt etwa der Würzburger Wirtschaftsprofessor Peter Bofinger diese Manie. Gernot Nerb, Leiter der „Abteilung Konjunkturumfrage“ beim Münchner Ifo-Institut, drückt es vorsichtiger aus: „Längerfristige Aussagen zur Kursentwicklung sind schwierig. Außerdem schwankte der Dollar auch zur D-Mark stark, nämlich zwischen 1,70 und 3,40 DM.“ Das Ifo-Institut sehe ohnehin schon seit längerem einen „Trend in die 90er-Cent-Region“. Ob der Kursanstieg der letzten Wochen jetzt schon von Dauer sei, lasse sich nicht sagen. „Sobald wieder positivere Daten aus den USA kommen, kann sich das ganz schnell ändern.“
Positive Daten hat es aus den USA in den letzten Wochen zwar auch gegeben – so teilte etwa der Einzelhandel am Dienstag mit, die Umsätze seien wider Erwarten nicht zurückgegangen. Die Händler an den Geldmärkten scheinen zurzeit jedoch vor allem für schlechte Nachrichten empfänglich zu sein. Dazu gehörten letzte Woche ein Bericht der US-Notenbank Fed, der ein düsteres Bild der Konjunktur zeichnet, und eine Warnung des Internationalen Währungsfonds (IWF), das Leistungsbilanzdefizit der USA sei „nicht haltbar“.
Nun ist es nicht so, dass der IWF damit die Katze aus dem Sack gelassen hätte – die USA leben seit Jahren mit einer unausgeglichenen Leistungsbilanz, und bis jetzt leben sie gut damit. Als kaufkräftige Nation importieren sie von jeher mehr, als sie exportieren. Zur Finanzierung ihres Booms benötigten die Amerikaner immense Mengen an Kapital, auch aus dem Ausland. Die Anleger aus aller Welt dankten es ihnen – und kauften eifrig Dollar. Nerb: „In der dynamischen Volkwirtschaft der USA erwarten sie eben eine höhere Rendite als in Europa.“
Die Gefahr, vor der der IWF warnt: Geht die Lust am Dollar verloren, fließt Kapital aus dem Land ab, der Dollar verliert an Wert, und die Amerikaner haben plötzlich ein Problem, wenn sie ihre Rechnungen bezahlen sollen. Aber: „Das ist doch eine altbekannte Tatsache“, sagt Nerb. „Dass der IWF das ausgerechnet jetzt bringt, wundert mich.“ Dennoch haben einige Fonds daraufhin ihre Anlagen umgeschichtet und Dollar gegen Euro getauscht. Woraufhin der Dollarkurs auch prompt sank.
Kein Grund zur Freude für die Europäer, findet Nerb: „Wir können uns nur dann einen starken Dollar leisten, wenn unsere eigene Wirtschaft wieder auf die Beine kommt.“ Zurzeit, da sind sich die meisten Konjunkturexperten einig, ist der Export aber der einzige Antrieb der europäischen Wirtschaft – und der boomt umso mehr, je schwächer der Euro ist. Auf die Dauer sei es keine Lösung, mit mehr oder weniger heimlicher Freude über den schwachen Währungskurs die Notwendigkeit „fundamentaler Reformen“ zu vertuschen, meint der Ifo-Ateilungsleiter. Also: „Entlassungen, Umstrukturierungen. Dann könnten wir mit einem starken Euro leben.“
Derzeit erwächst die Gefahr einer zu schnellen Dollar-Abwertung ohnehin weniger aus den Konjunkturprognosen als aus der wachsenden Kluft zwischen europäischem und amerikanischem Zinsniveau. Lag der US-Leitzins Anfang des Jahres noch um 1,25 Prozent über dem europäischen, liegt er nun bereits 0,75 Prozent darunter. Und am kommenden Dienstag wird in Washington die nächste Zinssenkung erwartet.
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