: Was ist heute schon bürgerlich?
In Zeiten der Homosexualisierung von Lebensstilen macht auch der Journalismus im Bereich „Homosexuelles“ Fortschritte
von JAN FEDDERSEN
Neulich meinte ein (nach allem, was man weiß) heterosexueller Kollege, die Schwulen würden ja immer bürgerlicher. Hätten für die Homoehe gekämpft, und nun dürften sie wirklich heiraten. Und aller Glanz sei verschwunden, hätte er noch hinzufügen können.
Arme Heteros, nun haben wir euch enttäuscht: Erst musstet ihr lernen, dass schwules und lesbisches Leben – man sah es doch alle Jahre wieder bei den Umzügen des Christopher Street Days – Spaß macht und irrsinnig gut gelaunt ausschaut. Und solltet nun kapieren, dass euer Staunen einer Projektion gleichgekommen war: Schwule und Lesben wollen sich nicht in ihren Karnevalszügen sonnen, sondern gleiche Rechte.
Und klang das nicht doof? Gleiche Rechte – das atmete etwa den Glamour von Forderung wie „Abschaffung von Leichtlohngruppen“ und „Antidiskriminierungsgesetz“. Das bot wenig Labsal. Sich liberal zu fühlen, wenn man zwei Männer oder zwei Frauen innig (nicht sexuell) miteinander umgehen sah: Und nicht gleich in Ohnmacht zu fallen. Und überhaupt: Was ist heute schon bürgerlich? Was kann als spießig bezeichnet werden? Ist es nicht vielmehr ein Zeichen von Angepasstheit, wenn linksautonome Homos auf den subversiv gemeinten Besuch von Klappen (das sind: öffentliche Toiletten, die Schwule als sexuelle Orte nutzen) halten, gleichzeitig aber einem Lebensstil frönen, der sich auf Mobiliar von Ikea und gemeinsamen Vertrag beim Notar aufbaut? Ist es nicht viel engstirniger, auf Nichtkonformität zu schwören, die die Homo-Ehe als bürgerlich geißelt? Sind es nicht vor allem schwule Hofnarren, weil sie Heteros den Gefallen tun, sich aufrührerischer zu geben, als sie sind? Und das Ganze noch als Politik ausgeben?
Schwule und Lesben in der taz haben jahrelang dafür gefochten, auch politisch – also nicht nur als Stilkritiker – ernst genommen zu werden. Berichte sollten nicht nur aus der Welt der homosexuellen Lebensstile, sondern aus den politischen Arenen erscheinen, wo tatsächlich über die Wirklichkeit von Homosexuellen entschieden wird: aus dem Bundestag, dem Bundesrat, den Institutionen, den Parteien und den Verbänden. Dort, wo es nicht mehr auf solidarische Gefühle ankommt, sondern auf den Druck, der diese Institutionen Gesetze verabschieden lässt, welche Schwule und Lesben vom Status der Nichtexistenten befreit.
Die Berichterstattung kann (und muss) nicht mehr davon ausgehen, dass hinter jeder kritischen Bemerkung in Sachen Homosexualität gleich eine ganze homophobe Weltanschauung steckt. Die Klimaveränderungen sind bisweilen enorm angenehm, nicht nur weil Klaus Wowereit keine Scheu hatte, sein Schwulsein als Grund für politische Erpressungen zu benennen – und sich dagegen mit einem Selbstouting zu schützen.
Mehr als Betroffenheit
Im Journalismus zum Thema bleibt jede Menge zu tun. Das Gesetz über Eingetragene Lebenspartnerschaft ist bestenfalls ein Anfang auf dem Weg, das Homosexuelle nicht mehr als Besonderes zu sehen. Ein Antidiskriminierungsgesetz braucht es natürlich auch. Und Druck auf Schulbehörden, ihre Sexualkundebücher von antihomosexueller Skepsis zu tilgen.
Wie auch die Diskussion über Lebensstile: Der dänische Soziologe (und taz-Autor) Henning Bech hat dies in einem Essay im taz.mag mal so beschrieben: Während die Heterosexuellen sich homosexueller Lebensstile bedienen (eine im Vergleich zu früher viel spätere Entscheidung für einen Lebenspartner, unabhängig vom Wunsch nach einem Kind), eignen sich Homosexuelle den traditionellen Lebensstil Heterosexueller an – hegen also den Wunsch nach Familie, nach Kindern und nach einer (Achtung: Ökokomponente) gewissen Nachhaltigkeit der Beziehungen, ob mit oder ohne Sex.
Es ist angenehm, Fortschritte im Redaktionsalltag zu registrieren: Da merken (nicht homosexuelle) Kollegen aus dem Inlandsressort mit größter Selbstverständlichkeit, dass man auf bestimmte Sachen, beispielsweise in puncto Homoehe, mit einem Bericht eingehen muss. Sie nehmen Homosexuelles nicht mehr nur als buntes oder Betroffenenthema wahr. Sondern als Beobachter und Analytiker auf einem politischen Feld, das – auch für die Grünen – zu einer Erfolgsgeschichte geworden ist.
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