piwik no script img

„Operation Fisch“ gegen Landlose

Seit mehreren Jahren schleust die brasilianische Armee gezielt Informanten in die Landlosenbewegung MST in Amazonien ein und spioniert die Gruppen aus. Präsident Fernando Henrique Cardoso kann an dem Vorgehen nichts Ungesetzliches finden

aus São Paulo GERHARD DILGER

Lambari, Pintado, Pirarucu oder Poraquê heißen einige der Süßwasserfischarten im Amazonasgebiet. Die brasilianische Armee hat die exotisch anmutenden Bezeichnungen als Decknamen für Spitzel umfunktioniert – im Rahmen ihrer „Operation Fisch“, über die sie seit 1998 die Landlosenbewegung MST und andere soziale Organisationen im Visier hat. Details enthüllte nun die linksliberale Tageszeitung Folha de São Paulo, die seit Wochen mit immer neuen Geschichten über das Treiben des militärischen Geheimdienstes aufwartet.

Zentrum des Spionagenetzwerks ist ein unscheinbares Haus in einem Wohnviertel von Marabá, einer Stadt im Süden des Bundesstaats Pará. Die dort tätigen zwölf Geheimdienstler geben sich vorzugweise als Journalisten der Phantom-Nachrichtenagentur „RP Free-Lance“ aus. Selbst im täglich aktualisierten Logbuch wird die Fiktion aufrechterhalten: Für einen „Reportageeinsatz“ seien die „Journalisten Gaúcho und Maranhão“ mit einem 38er-Revolver, 20 Patronen und zwei Kameras ausgerüstet worden, heißt es in einem Eintrag vom März 2001. Für Versammlungen der Landlosenbewegung zieht man Informanten aus dem Kleinbauernmilieu vor. Als Gegenleistung gibt es Prämien von 100 Mark oder die Möglichkeit, sich oder seine Angehörigen kostenlos im örtlichen Militärkrankenhaus behandeln zu lassen.

Weniger harmlos sind die „Erkenntnisse“, der nach Brasília weitergeleiteten Berichte: Da ist von einer „paramilitärischen Organisation“ namens „Brigade Cabanos“ die Rede, die die MST mit der Gewerkschaft CUT und der Arbeiterpartei PT aufgestellt habe. Ziel: „Unordnung“ bei den Kommunalwahlen 2000 zu stiften. Kommentar der Folha: „Der ,Bericht‘ der Armee wurde bestätigt: Die Wahlen fanden statt.“ Der Erfolg der Opposition habe eine „Unordnung“ in den Regierungsreihen ausgelöst.

Im Umland von Marabá werden die Landkonflikte besonders blutig ausgetragen. Dort fand 1996 das Massaker von Eldorado do Carajás statt, bei dem Militärpolizei 19 demonstrierende Bauern ermordeten. Auch in diesem Jahr wurden in Marabá mehrere Kleinbauern erschossen.

In einem der Geheimdienstberichte sind die Tarife für Auftragsmorde in der Region aufgelistet: Der Tod eines Landarbeiters koste manchmal nur eine „Ladung Zuckerrohrschnaps“. Ein MST-Mitglied sei 4.500 Mark wert, ein Polizist dreimal so viel, wobei „Autos oder Motorräder als Teil der Bezahlung akzeptiert werden“. Je strenger ein Inspektor der Naturschutzbehörde Ibama sei, desto teurer werde es, ihn umbringen zu lassen.

Sicherheitsminister Alberto Cardoso verteidigte die Arbeit der militärischen Geheimdienste und bestritt, in die „Operation Fisch“ eingeweiht zu sein. Präsident Fernando Henrique Cardoso selbst reagierte nur indirekt: Vor Offizieren kritisierte er Landbesetzungen und sagte, „Auswüchse“ würden innerhalb der gesetzmäßigen Ordnung bekämpft.

Um das tatsächliche Ausmaß der „Landreform“ in Brasilien herrscht eine erbitterte Propagandaschlacht. In den letzten sechs Jahren habe sie rund 500.000 Familien angesiedelt, sagt die Regierung. Dies gehe nur auf Druck von unten zurück, sagt die MST, außerdem seien im gleichen Zeitraum noch mehr Familienbetriebe pleite gegangen.

Allerdings geht auch die Mobilisierungsfähigkeit der MST zurück. Seit 2000 gibt es viel weniger Landbesetzungen als in den Neunzigerjahren. Der Grund sei, dass die Regierung der MST den Geldhahn zudreht, meinen Kenner. Allein über Bildungs- und Gesundheitsprojekte für angesiedelte Kleinbauern habe die MST in manchen Jahren bis zu 10 Millionen Mark erhalten.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen