: Die Investoren informieren
Kommunikation: „ungenügend“. Die häufigsten Fehler von Unternehmen, die an die Börse wollen. Wer erst sechs Wochen vor Börsenstart auf sich aufmerksam macht, wird nicht wahrgenommen
Im Jahr 2000 wagten nahezu 150 Unternehmen den Gang an die Börse. Zu Jahresbeginn 2001 notieren jedoch nur knapp 25 Prozent der Börsendebütanten über dem Ausgabekurs. Die Erkenntnis, dass Neuemissionen keine sicheren Gewinne bringen, hat Privatanleger und Fondsmanager gleichermaßen ereilt. Die Folge: Aktien werden heute erheblich vorsichtiger als noch vor einem Jahr gezeichnet. Umso wichtiger ist daher die professionelle Information zum Börsengang. Dabei werden häufig vermeidbare Fehler gemacht.
PR in letzter Minute
Viele junge Unternehmen, die an den Neuen Markt streben, sind in der Öffentlichkeit No-Names. Sie hatten noch gar keine Chance, sich langfristig als Marke zu etablieren, geschweige denn ein Markenimage zu pflegen. Nun gilt es, in wenigen Monaten das nachzuholen, wofür selbst Markengurus häufig Jahrzehnte gebraucht haben. Es gilt nach wie vor: Je mehr Zeit, Geld und Know-how zur Verfügung stehen, desto besser. Nicht selten geht es schließlich darum, überhaupt erst die Existenz des Unternehmens bekannt zu machen, gleichzeitig Vertrauen in das Führungsteam aufzubauen und darüber hinaus noch die Details der Neuemission zu vermitteln. Der Ratschlag daher: Mindestens sechs Monate, besser noch ein Jahr vor der geplanten Erstnotierung mit der Öffentlichkeitsarbeit, dem Aufbau von Bekannheitsgrad und Image, beginnen. Eine „Last-Minute-PR“, die erst sechs Wochen vor dem Börsengang startet, hat heute keine Chancen mehr, vom Finanzmarkt wahrgenommen zu werden.
Frühstart
So wichtig es ist, mit der allgemeinen PR-Arbeit frühzeitig zu beginnen, so fatal kann es sein, den angestrebten Börsengang selbst zu früh bekannt zu machen. Nach Schätzungen eines führenden Anlegermagazins wurden allein im zweiten Halbjahr 2000 etwa 65 Börsengänge verschoben. Außerdem behält sich die Deutsche Börse vor, Kandidaten auch abzulehnen. Ob Verschiebung oder Absage des Börsengangs: Wer seine Börsenpläne zu früh kundtut, bringt sich dadurch womöglich in Erklärungsnotstand.
Fachchinesisch
„Kaufe nie Aktien eines Unternehmens, das du nicht verstehst“, so lautet eine der vielen Binsenweisheiten an der Börse. Den Geschäftszweck und das Zukunftspotenzial des Unternehmens in einer so genannten Equity Story verständlich darzustellen ist eine Bringschuld des Unternehmens. Was soll sich ein normal gebildeter Privatanleger beispielsweise unter einem „Enabler für holistische E-Procurement-Lösungen“ vorstellen? Die externe Sicht eines Kommunikationsberaters hilft, Fachchinesisch zu vermeiden und die richtigen Worte zu finden.
Keine Differenzierung
Wie viele Unternehmen am Neuen Markt definieren sich mit Allgemeinplätzen wie „One-Stop-Shops“ oder „Full-Service-Anbieter“? Und bieten sie nicht alle „integrierte Lösungen“ an? Um ein Unternehmen am Markt differenziert darzustellen, braucht es mehr als solche Attribute. Der Wettbewerb ist schließlich groß. Gelingt es einem Unternehmen nicht, in der Equity Story seine Einzigartigkeit zu verdeutlichen, kann es kaum auf die Gunst der Anleger hoffen.
Immer Nummer eins
Unternehmen, die sich nicht glaubhaft als führend in einem bedeutenden Markt positionieren können, neigen oft dazu, sich ein unbedeutendes kleines Segment auszusuchen, in dem sie die Nummer eins sind. Umfassen selbst die Branchenindizes am Neuen Markt heute nicht gelegentlich mehr als einen „Marktführer“? Die Frage ist ja vielmehr, welche Zukunftspotenziale das jeweilige Unternehmen wie auch der Markt, in dem es agiert, haben. Also: Hier die Chancen ausloten, sich zum einen als einer der Top-Player im Markt und zugleich als „Markttreiber“ positionieren zu können. Doch auch hier ist Vorsicht geboten – der nächste Fallstrick:
Superlative über alles
Superlative sind wirkungsvoll. Wohl dem Unternehmen, das sich als „größter Anbieter Europas“ oder als „First Mover“ rühmen kann. Kritisch wird es jedoch für das Unternehmen, das dabei falsche Behauptungen macht. Man verscherzt sich das Vertrauen der Anleger. Denn nur wer eine glaubwürdige und offene Kommunikationspolitik betreibt, hat langfristig Erfolg an der Börse.
Langweilige Werbung
Zugegeben: Ein Unternehmen wie auch der Prozess eines Initial Piblic Offerinh (IPO) sind komplexe Angelegenheiten. Dies muss dann häufig als Erklärung dafür herhalten, dass Anzeigen und TV-Spots zum Börsengang sehr informationslastig und wenig unterhaltsam sind. Da zudem das Budget für die Schaltung von Werbung bei vielen Börsengängen begrenzt ist, wird ein Großteil der IPO-Werbung nicht genügend wahrgenommen. Hinzu kommt, dass viele IPO-Kampagnen nicht in ausreichendem Maß emotionalisieren. Laut einer Studie der Boston Consulting Group werden aber etwa 40 Prozent des Aktienwerts durch Emotionen bestimmt. Im Übrigen braucht auch emotionale, hochkreative IPO-Werbung Regeln. Und die liegen vor: Das Kölner Marktforschungsinstitut rheingold hat mit der Kohtes Klewes nahe stehenden Kreativagentur KNSK, Hamburg, private wie professionelle Anleger befragt und daraus Regeln für kreative und zugleich wirksame Aktienwerbung abgeleitet.
Widersprüche
Im Fernsehspot heißt es, das Unternehmen habe 200 Mitarbeiter; auf der Homepage ist nur von 180 die Rede. Der Vorstandsvorsitzende sagt, strategische Priorität habe die Expansion nach Amerika, der Finanzvorstand spricht vom europäischen Ausland. Solche und ähnliche Widersprüche lassen nur zwei Schlüsse zu: Entweder das Unternehmen hat keine klare Strategie und meint tatsächlich heute dies und morgen das. Oder aber es glaubt, seine potenziellen Aktionäre nicht ernst nehmen zu müssen – nach dem Motto „Den Privatanlegern können wir diese Geschichte verkaufen, aber bei den Analysten müssen wir vorsichtiger sein“. Eine solche Einstellung rächt sich spätestens am Tag der Erstnotierung und womöglich noch lange darüber hinaus.
Interne Kommunikation
Während viele Unternehmen den Dialog mit den Analysten und der Presse gut bewältigen, wird eine Sache vom Vorstand oft sträflich vernachlässigt: die interne Kommunikation. Gerade die Mitarbeiter wollen und müssen informiert werden, und zwar möglichst bevor sie die Neuigkeiten aus der Zeitung erfahren. Schließlich sind Mitarbeiter wichtige Multiplikatoren, die das Image eines Unternehmens entscheidend prägen und nicht zuletzt auch häufig zu den treuesten Investoren in „ihr“ Unternehmen gehören. Nicht zu erkennen, dass aus solchen Stakeholdern verbündete Shareholder werden, heißt Potenziale verschenken.
Schweigen
Die Monate vor dem Börsengang sind für alle Beteiligten eine arbeitsintensive Zeit. Das gilt insbesondere für den Vorstand, der neben dem operativen Geschäft auch noch zwischen Bankern, Analysten, institutionellen Investoren und Pressevertretern hin und her hetzt. Ist das IPO erfolgreich verlaufen, wenden sich viele Unternehmer dem zu, was ihnen vertrauter ist: den operativen Notwendigkeiten. Fehlt zudem noch die personelle Unterstützung bei Öffentlichkeitsarbeit und Investor Relations, folgt Schweigen gegenüber Anlegern und der Öffentlichkeit. So verständlich eine solche Einstellung sein mag, sie hat negative Folgen. Gerade jetzt muss nämlich das Vertrauen der Anleger weiter aufgebaut werden; jetzt müssen die Versprechen der letzten Monate eingelöst werden.
Wer nach dem Börsengang den plötzlichen Bekanntheitsgrad seines Unternehmens nutzt und da mit der Investor-Relations-Tätigkeit anfängt, wo die IPO-Kommunikation aufhört, der hat gute Chancen, dass die Aktie auch langfristig Turbulenzen übersteht und eine erfreuliche Performance bringt.
MICHAEL TSCHUGG
Der Autor ist Geschäftsführender Partner bei der Kommunikationsberatung Kohtes Klewes in Frankfurt.
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