: Klagerecht nur für die Großen
Das neue Bundesnaturschutzgesetz zentralisiert die Strukturen und Finanzmittel der Umweltgruppen. Initiativen vor Ort fürchten die Politik der Führungsebenen
Das neue Bundesnaturschutzgesetz, das derzeit im Bundestag beraten wird, ist vielleicht nicht der ganz große Wurf, bringt aber wesentliche Verbesserungen. Ökologische Vorgaben für Landwirte, eine Wendung vom inselartigen zum regional vernetzten Naturschutz und die Einführung der Verbandsklage für Anerkannte Naturschutzverbände auf Bundesebene sind wesentliche Fortschritte. Gerade das neue Klagerecht weckt Hoffnungen bei vielen Naturschützern, künftig bessere Karten in der Hand zu haben, wenn ein besonders bedrohlicher Eingriff in Belange des Arten- und Biotopschutzes, etwa ein überdimensioniertes Verkehrsprojekt, droht.
So begrüßenswert diese neue Möglichkeit wäre, hätte sie aber auch eine andere Konsequenz: Die Zentralisierung der Strukturen und Finanzmittel der Naturschutzbewegung würde zunehmen, besonders bei den beiden großen Umweltverbänden Nabu (Naturschutzbund Deutschland) und BUND (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland). Gegen einen Transrapid würde dann nicht mehr ein Landesverband etwa des Nabu, sondern dessen Bundesverband klagen, und zwar wegen aller Verstöße gegen das Naturschutzrecht entlang der gesamten Strecke.
Im Gegenzug werden sich die rechtlichen Möglichkeiten verringern, über die die unteren Ebenen der großen und ebenso die der kleineren Verbände verfügen. Dabei werden diese vor Ort verankerten Strukturen gebraucht – auch als Korrektiv bei umstrittenen Entscheidungen der Führungsebenen.
Nur ein Beispiel: 1996 einigte sich der damalige Verkehrsminister Wissmann mit den Spitzen von vier Bundesverbänden auf eine so genannte Elbe-Erklärung. Als Gegenleistung für das Zugeständnis des Ministers, die Mittelelbe zwischen Magdeburg und Lauenburg im derzeitigen relativ naturnahen Zustand zu belassen, stimmten sie einem Ausbau von Kanälen zu. Dagegen gab es heftigen Protest vor allem in Brandenburg und Berlin, wo die Umweltbewegung gerade Volksinitiativen gegen den Havel-Ausbau vorantrieben, dem die Bundesführer der Großverbände damit faktisch zugestimmt hatten. Die ostdeutsche Grüne Liga erfuhr von diesem Schritt „der Naturschutzverbände“, wie etliche Medien unzulässig verallgemeinerten, erst aus der Presse. Und beim BUND war nicht einmal der zuständige Landesverband in die Entscheidung einbezogen worden; der erreichte es dann mit viel Aufwand immerhin, dass die BUND-Unterschrift zurückgezogen wurde.
Auch Verbandsklagen kosten Geld. Gerade in Ostdeutschland sind die örtlichen Naturschutzverbände in finanziellen Nöten, denn hier ist die Basis der Verbände besonders klein und oft überaltert. Sponsorensuche oder das Versenden von Spenden-Bittbriefen verlangen wegen der geringen finanziellen Möglichkeiten der Umworbenen mehr Aufwand bei geringerem Ertrag als im Westen – es sei denn, dass persönliche Betroffenheit die Bevölkerung mehr sensibilisiert. Aber dann möchte bitte gegen die Verlärmung des eigenen Wohngebietes vorgegangen werden, nicht gegen die Gefährdung der Großtrappe ganz woanders.
Oder um ein besonders drastisches Beispiel zu nennen: 1992 klagte die Grüne Liga Brandenburg gegen die Verlängerung der aus DDR-Zeiten stammenden Betriebsgenehmigungen zweier Braunkohletagebaue bei Cottbus, ohne dass eine Umweltverträglichkeitsprüfung vorgenommen worden war. Betroffen sind vor allem der Ort Horno, der sich seit Jahren gegen seine Zerstörung wehrt, und die Lakomaer Teiche, äußerst wertvoll nicht nur wegen seiner großen Population der auch von der EU geschützten Rotbauchunke. Die juristischen Möglichkeiten der bereits aufgelösten Gemeinde Horno sind erschöpft. Welches Gefühl würde jetzt aber ein Hornoer haben, der die Klage der Grünen Liga finanziell unterstützt, weil diese die letzte Hoffnung zur Rettung seiner Heimatortes ist – und dann erleben müsste, dass Horno trotz allem zerstört, die Bagger aber kurze Zeit später wegen der Amphibien vor Lakoma halten würden? Genau das war der Stand der erstinstanzlichen Gerichtsentscheide: Tiere sind wichtiger als Menschen – ein „Erfolg“ der Kläger, der den nicht am Tierschutz Interessierten kaum zu vermitteln ist.
Ein solches Ergebnis kann fatale Auswirkungen auf die Akzeptanz des Naturschutzes in der Bevölkerung haben. Die Wünsche der Spender gegen die naturschützerischen Belange abzuwägen ist eine Herausforderung an das Selbstverständnis der Naturschützer, die dann schnell zwischen allen Stühlen sitzen. Das gilt erst recht für das Sponsoring, weil hier anders als in Sport oder Hochkultur inhaltliche Abhängigkeiten entstehen.
Vor einigen Jahren versammelten sich Kranichschützer zu einer Tagung im Rhinluch, wo im Herbst bis zu 40.000 Kraniche rasten. Damals war gerade das Planungsverfahren für den Transrapid Berlin–Hamburg im Gange. Die bis zu zwölf Meter hoch geführte Magnetbahn hätte im Herbstnebel etliche Großvögel zerfetzt. Mit den Konsequenzen dieses Vorhabens konfrontiert, waren die Teilnehmer der Tagung sichtlich betroffen und – taten nichts. Man befürchtete den Verlust des Sponsors, der auch am Transrapid interessiert war . . .
Ist das Geld gesammelt und die Klage eingereicht, taucht das nächste Problem auf: Gemeinnützige Vereine dürfen keine finanziellen Rücklagen bilden, sondern müssen ihre Mittel zeitnah zum vorgesehenen Zweck verwenden. Eine Klage über drei Instanzen dauert Jahre. Wo bleibt das Geld solange? Riskiert mensch die Gemeinnützigkeit – mit dem Erfolg, dann später Spendern keine Bescheinigung für das Finanzamt mehr zusenden zu dürfen und auf alle Einnahmen Steuern zahlen zu müssen? Ist das Urteil aber negativ ausgefallen, wird schnell viel Bares gebraucht, um den Verein (und die Mitglieder des Verbandsvorstandes) nicht zu ruinieren. Es würde nicht genügen, dann erst mit dem Sammeln von Spenden zu beginnen – und wer gibt einem Verlierer noch etwas? Schon hilfreich, wenn da eine finanzstarke Bundesebene existiert, die Unterstützung geben kann, weil in einem größeren Haushalt besser Vorsorge zu schaffen ist. Irgendwo läuft ja ständig ein Prozess, da kann jedes Jahr etwas eingestellt werden. Kleineren Gruppen bleibt da nur noch der Anschluss an eine große Zentrale – und die Unterordnung unter deren Willen. Wenn die nicht klagen will, geht eben nichts.
Wer politisch wirklich das Klagerecht von Naturschutzverbänden will, muss auch eine Lösung für die Finanzierbarkeit solcher Klagen finden. Dabei würde schon eine kleine Gesetzesergänzung helfen: Anerkannten Naturschutzverbänden könnte ermöglicht werden, für einen Prozess gesammelte Gelder auf einem Treuhandkonto zu hinterlegen, das vom Gericht überwacht und nicht im Haushaltsplan des Vereins aufzuführen ist. Sollte der Prozess gewonnen werden, könnten zweckgebundene Spenden mit Zinsen zurückgezahlt werden. Damit wäre das Risiko auch für kleinere Gruppen kalkulierbar.
HEINZ-HERWIG MASCHER
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