: Marschbefehl ohne gesetzliche Grundlage
Seit 1994 stimmte das Parlament fünfzehn Auslandseinsätzen der Bundeswehr zu. Doch auf ein Entsendegesetz hat der Bundestag lieber verzichtet
FREIBURG taz ■ War es ein Auftrag oder nur eine Anregung? Als das Bundesverfassungsgericht 1994 verlangte, dass Auslandseinsätze der Bundeswehr nur nach Zustimmung des Bundestags erfolgen dürfen, fand sich im Urteil auch folgender Satz: „Es ist Sache des Gesetzgebers, die Form und das Ausmaß der parlamentarischen Mitwirkung näher auszugestalten.“ Bis heute gibt es aber kein derartiges Gesetz. Der Parlamentsvorbehalt bei Militärinterventionen beruht bis heute ausschließlich auf der Rechtsprechung der obersten Richter.
Übersehen hat der Bundestag den Hinweis aus Karlsruhe sicher nicht. Nach dem Urteil wurde in Bonn heftig über ein so genanntes „Entsendegesetz“ gestritten. Während die CDU als damalige Koalitionspartei an einer Einengung des Regierungsspielraums kein Interesse hatte, setzten sich SPD und Grüne für ein Gesetz ein, das die Auslandseinsätze der Bundeswehr näher regelt. Die SPD wollte erreichen, dass bestimmte Auslandseinsätze, etwa solche ohne UNO-Mandat, generell ausgeschlossen werden. Die Grünen wollten für Blauhelm-Einsätze eine Zweidrittelmehrheit des Bundestages erreichen. Eigene Gesetzentwürfe legten weder SPD noch Grüne vor, zu umstritten war die Materie in den Fraktionen.
Auch als SPD und Grüne 1998 die Mehrheit im Bundestag errangen, wurden die Pläne nicht wieder aufgegriffen. Die ohne UNO-Plazet durchgeführte Kosovo-Intervention hatte ihnen wohl die Vorzüge einer nicht allzu strikt festgelegten Politik verdeutlicht.
Immerhin läuft die Kooperation von Regierung und Parlament bei Auslandseinsätzen relativ routiniert. Nach einer Aufstellung des Verteidigungsministeriums hat der Bundestag seit 1994 fünfzehn Bundeswehreinsätze abgesegnet. Dabei ging es vor allem um die Großeinsätze in Bosnien und im Kosovo, bei denen das Mandat mehrfach ergänzt und verlängert werden musste. Daneben gab es noch drei weniger bekannte Bundeswehr-Missionen. So halfen deutsche Tornados 1996, die UN-Übergangsverwaltung im kroatischen Ost-Slawonien zu sichern. Ein Jahr später evakuierten deutsche Hubschrauber in einem Blitzeinsatz rund 100 Ausländer aus dem krisengeschüttelten Albanien. Vor eineinhalb Jahren waren deutsche Sanitäter rund vier Monate in Osttimor stationiert. Nur beim Albanieneinsatz 1997 berief sich die Bundesregierung auf „Gefahr im Verzug“ und unterrichtete das Parlament erst fünf Tage nach Beginn der Aktion. Abgelehnt wurde bisher kein von der Regierung beantragter Auslandseinsatz.
Dass aber auch ein Gesetz über militärische Auslandseinsätze nicht automatisch zu strengeren Regelungen führt, zeigt das Beispiel Österreich. Dort ist die Truppenentsendung seit 1997 durch mehrere Gesetze geregelt. Bei Auslandseinsätzen zur „Friedenssicherung“, zur „humanitären“ oder „Katastrophenhilfe“ benötigt die Wiener Bundesregierung das „Einvernehmen mit dem Hauptausschuss des Nationalrats“. Die Anforderungen sind demnach sogar geringer als in Deutschland, da nicht das gesamte Parlament zustimmen muss. CHRISTIAN RATH
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