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Die Politik geht nicht baden

Das neue „Politainment“ bietet eine Chance für eine republikanisch geprägte politische Kultur, schreibt der Politologe Andreas Dörner

Gerhard Schröder parliert mit Thomas Gottschalk in „Wetten, dass .  .?“ und bringt nach einer verlorenen Wette die älteste Zuschauerin im Saal nach Hause. Rudolf Scharping gibt der Illustrierten Bunte ein Interview aus dem „Liebesurlaub“ und lässt sich turtelnd mit seiner „Zukünftigen“ im Pool ablichten.

Wie schön, wenn die sonst so ernsten, ja langweiligen Politiker mal positiv in die Wohnstuben der Republik strahlen: „Feel good“ mit Gerhard und Rudi. Besonders schön, wenn dabei 18 Millionen zuschauen, wie bei „Wetten, dass . . .?“. Was früher noch die Ausnahme war, ist unter „Medienkanzler“ Schröder Programm: Auftritte in Talkshows, Fußballsendungen, ja sogar Bildergeschichten aus dem Mallorca-Urlaub mit Geliebter. Ein Geschäft auf Gegenseitigkeit: Die Politiker kommen gut rüber, und die Show wird durch sie seriöser. „Politainment“ nennt der Wuppertaler Politologe Andreas Dörner diese „symbiotische Verflechtung von Politik und Unterhaltungskultur“. Und so heißt auch sein neues Buch.

„Politainment“, das klingt wie der Untergang des Abendlandes, wie die Auflösung des Politischen in der Show. Was ist davon zu halten, wenn sich die Politik die Formensprache des Kinos zunutze macht, um besser rüberzukommen? Wenn sich bei einem Parteitag der Kanzlerkandidat zur hymnischen Musik des Hollywoodfilms „Airforce One“ auf die Bühne tritt wie ein Gladiator vor dem Kampf?

Manchem mag angst und bange werden bei dem, was inzwischen nötig ist, um gewählt zu werden. Doch Dörner bleibt optimistisch. Trotz einiger Defizite sieht er in dem Phänomen „Chancen für das Politische in der Massendemokratie“. Auf gleich zwei Wegen versucht er das gängige Urteil über den Niedergang der politischen Kultur zu widerlegen: indem er das angeblich seriöse Fernsehen entzaubert – und im vermeintlich Banalen das Politische aufspürt.

Dazu hat Andreas Dörner viel ferngesehen. Und offenbar gern. Liebevoll analysiert er Serien, Kino und Fernsehfilme auf ihren politischen Gehalt. Ihn trennen Welten von der pessimistischen Kulturkritik eines Adorno, Postman oder Bourdieu. Denn für ihn ist die Unterhaltungskultur nicht der Politik schützende Überbau. Sie ist vielmehr ein Hindernis, ein Konkurrent um Aufmerksamkeit, den es zu bezwingen gilt. Nicht nur das. Das Fernsehen ist auch ein unerbittliches Mikroskop, hinter dem das „Auge Gottes“, sprich der anonyme Zuschauer, sitzt und jede kleine Regung überwacht.

Populäre Filme und Serien seien keinesfalls unpolitisch, urteilt Dörner. Im Gegenteil: Die vorgeführten Protagonisten führen oft eine „modellhafte politische Identität“ vor, zeigen Moralität und mischen sich ein, „wenn es Not tut“. Konflikte zwischen Männern und Frauen, Deutschen und Ausländern würden in der Regel „politisch korrekt“ behandelt – und das nicht nur in der linken Lindenstraße. Dörner findet solche Muster überall: im Tatort, im Forsthaus Falkenau, selbst in Pro-7-Thriller-Produktionen, denen er einen „Hang zur Systemkritik“ nachweist. Das Grundmuster ähnelt dem Vorbild amerikanischer Serien, mit einer typisch deutschen Ausnahme: Die Welt ist am Ende meist nicht wieder heil, die Politik bleibt ein „schmutziges Geschäft“.

Das Politische in den Serien hat auch die Politik längst erkennt. So subventionierte der frühere Bundesentwicklungsminister Carl-Dieter Spranger (CSU) 1996 die „Klinik unter Palmen“ mit Klausjürgen Wussow als Tropenarzt. Spranger spendierte sogar 7 Prozent seines Etats, um so wirksam für Entwicklungshelfer zu werben, die in der Serie für die gute Sache kämpfen. So sanft Dörner den Filmen ihre oft grobschlächtige Politikdarstellung nachsieht, so hart geht er mit den Politsendungen ins Gericht. Etwa Sabine Christiansens Sendung, das „Flaggschiff der seriösen Debattenshows“, diene vor allem der Selbstthematisierung der Politik. Nicht das bessere Argument entscheide, sondern strategisch formulierte Statements herrschten über den Sonntagabenddiskurs – in dem es Christiansen „wie so vielen ihrer Zunft“ oft nicht gelinge, sich gegen die politischen „PR-Profis zu behaupten“.

Die große Politshow in den Medien ist jedoch nicht ohne Risiken für die vermeintlichenManipulateure – selbst der Medienkanzler ist nicht immun: Als seine Regierung im Frühjahr 1999 in der Krise steckt und Oskar Lafontaine demonstrativ das Kabinett verlässt, wird Schröders ewige Bildschirmpräsenz zum Angriffspunkt: Er sei ein politisches Leichtgewicht und sollte sich lieber aufs Regieren konzentrieren. Prompt sagte er Auftritte in der Fußballshow „ran“ und beim Late-night-Talker Harald Schmidt ab.

Insgesamt kommt Dörner zu dem Fazit, dass die neue Unterhaltungsöffentlichkeit keineswegs Eskapismus oder gar autoritäre Handlungsmuster fördert. Gerade der Kampf gegen Neonazis, so weist er nach, ist stark durch die Unterhaltung unterfüttert, in der Nazis die ewigen Bösen sind. Vielmehr schaffe die Unterhaltungsöffentlichkeit einen gemeinsamen Diskurs, wirke Fragmentierungstendenzen entgegen und gebe den Zuschauern eine wichtige Orientierung im politischen Wettstreit. „Politainment“ berge so ein Potenzial für eine „neue republikanisch geprägte politische Kultur“.

Zwar sieht auch Dörner Probleme: etwa das Defizit an seriöser Information im Fernsehen. Dies sei aber nicht Gegenstand seines Buches. Es fragt sich, ob man diesen Aspekt so großzügig weglassen kann. Schließlich ist der Sieg der symbolischen über die inhaltliche Politik eines der zentralen Probleme im Zeitalter des „Politainments“. Wenn der Wahlkampf zum Dauerzustand wird, wenn komplexe Probleme nur noch emotional transportiert werden, kann einem schon um die politische Kultur ein wenig bange werden. Auch beschleichen einen Zweifel, ob die gängigen TV-Serien wirklich den republikanischen Geist nähren oder nicht eher durch stereotype Politklischees die Politikverdrossenheit nähren, die die Parteien per Politainment zu überwinden suchen.

Doch diese Kritik wurde oft vorgebracht. Wenige haben versucht, das politische Showgeschäft genauer zu untersuchen, auch das Positive zu sehen. Man muss daher Dörners Optimismus nicht teilen, um für seine geistreiche Analyse dankbar zu sein. MATTHIAS URBACH

Andreas Dörner: „Politainment. Politik in der medialen Erlebnisgesellschaft“, 256 Seiten, Suhrkamp, Frankfurt am Main 2001, 21,90 DM (11,50 €)

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