bücher für randgruppen
: Deutsche Tütensuppen braucht auf Island niemand

Brühen, Chatten, Piercen

Es sind nicht die scheußlichen teuren Regenjacken in Pink, Türkis und Grellgelb, unter deren Kapuzen der deutsche Tourist in Island als solcher erkannt wird. Die Plastikteile werden schließlich auch von Belgiern, Niederländern, Schweizern, Österreichern – ja selbst von Franzosen getragen. Es sind Tütensuppen, an denen der Isländer erkennt, dass Besuch aus Deutschland naht. Vorgewarnt vor hohen Lebensmittelpreisen, stopfen die Naturfreunde von Stuttgart bis Flensburg ihre 1.000-DM-Survival-Rucksäcke voll mit grässlichen Pulvern aus Champignonextrakten, Magermilchpulver, E 631, Aromastoffen und dem Verdickungsmittel Guarkernmehl.

Mein Vormieter hatte noch einige Tüten im Küchenschrank übrig gelassen, darunter eine Auswahl so genannter Heißer Becher von Maggi, über die heißes Wasser gekippt wird, woraufhin knusprige Croutons an die Oberfläche steigen sollen; zudem eine Tüte (Inhalt ergibt 3 Teller) Ostasiatische Gemüsesuppe von Konkurrent Knorr. Bei einer spätabendlichen Hungerattacke riss ich Letztere auf und verrührte sie mit kochendem Wasser. Die geschrumpften Karotten- und Bambusstäbchen sogen allmählich Wasser auf, verblieben nichtsdestotrotz bis zum Kochende (10 Minuten) runzlig und eigenartig zäh. Dazwischen schlang sich ein Glibber von Glasnudeln. Es sah grässlich aus und schmeckte auch so. Mit diesem Geschmack im Mund begann ich mir meine Urlaubslektüre vorzunehmen: „Was die Welt nicht braucht“, ein Lästerbuch, das in kurzen Essays einen Bogen nutzloser Kultur- und Medienprodukte vom „Chatten“ über „Zungenpiercing“ bis zu „Hunden mit Halstüchern“ spannt.

Die Isländer – das sollte vorneweg gesagt sein – sind geradezu gierig nach allem, was ganz neu ist und damit möglicherweise auch völlig überflüssig. Das hat sicher mit den Nächten in den dunklen Jahrhunderten der Entbehrung materieller Güter zu tun. Mein erstes Vivian-Westwood-Designgeschäft erblickte ich vor 8 Jahren am Laugevegur. Das allererste Kickboard meines Lebens sah ich nicht etwa in Berlin, wo der Metallroller ja „erfunden“ worden sein soll, sondern tatsächlich an der Hauptstraße von Reykjavík. Ein etwa 16-jähriger Junge, extrem modisch frisiert und gekleidet, rollte damit den schmalen Bürgersteig entlang. Ein solches Gefährt mit einem Knaben in verkrampfter Haltung ziert nun das Cover des Buches, und ich habe mir in Berlin gleich ein solches besorgt, um die Strecke von meiner Reykjavíker Wohnung in der Bókhlodustigur zur Badeanstalt in der Hofsvallagata nicht in 15 Minuten (Fußweg), sondern in fünf Minuten (Kickboard) zu schaffen. Nur einmal musste ich scharf bremsen, als ich einen Kinderpullover mit Runenzeichenmuster im Schaufenster sah. Ja, könnte das nicht etwas typisch Isländisches sein, was eigentlich niemand braucht?

Die Autoren des Buches, Annette Anton und Daniel Kiecol, haben sich die Mühe gemacht, die ganzen Geschmacklosigkeiten, den ganzen sinnlosen Schrott, der uns so selbstverständlich begleitet, einmal beim Namen zu nennen. Allerdings nicht den speziellen Unsinn, sondern den allseits bekannten. Was soll ich groß darüber sagen? Wie es geschrieben ist? Das ist völlig egal, das Duo hat Recht, mal mehr, mal weniger. Aber vielleicht ist es ganz gut zu wissen, dass jeder zweite Love-Parade-Teilnehmer beim Interview vor der Kamera davon schwärmt, wie toll es damals war, ganz am Anfang, als nur hundert Gestalten den Ku’damm langmarschierten. Wie unkommerziell das war! Aber jetzt heute, wo 800.000 mitmachen, wäre trotzdem ’ne geile Stimmung. Zu wissen für später, wenn keiner mehr weiß, worum es da überhaupt gegangen ist. Das Foto von Co-Autor Kiecol zeigt ihn übrigens in stirnrunzelnder Pose mit dem Zeigefinger als Kopfstütze. Fotos von Autoren, die mit gerunzelter Stirn porträtiert werden, sind auch so etwas, was eigentlich niemand wirklich braucht.

Natürlich gibt es auch isländische Tütensuppen, wie die bekannte Kjötsúpa von Toro für umgerechnet 1,88 DM. Sie schmeckt genauso fad wie ihre deutschen Verwandten, ziert allerdings ein extrem hübsches Cover, nämlich ein brillantes Landschaftsfoto eines bizarren isländischen Bergmassivs.

WOLFGANG MÜLLER

Annette C. Anton/ Daniel Kiecol: „Was die Welt nicht braucht“, Piper, München – Zürich 2001, 268 S., 29,80 DM