: Der Tag der Abrechnung
Der Chef der Bankgesellschaft, Wolfgang Rupf, verantwortet auf der heutigen Hauptversammlung das Desaster bei der Bank. Die Kleinaktionäre sind stinksauer. Rupf kündigt seinen Rücktritt an
von RICHARD ROTHER
Mehrfach wurde sie verschoben – die Hauptversammlung der Bankgesellschaft Berlin. Heute ist der Tag der Abrechnung gekommen, und der Ort für den Showdown hat Symbolkraft: das Hotel Estrel, ein gigantischer Protzbau mitten im Problembezirk Neukölln, steht wie die einst so stolze Bankgesellschaft für den Aufbruch in eine goldene Dienstleistungszukunft. Die Gegenwart aber ist ernüchternd: Vis-à-vis vom Hotel künden Industriebrachen vom Niedergang des Alten, und die langen Gesichter in den Estrel-Lounges zeugen vom Scheitern des Neuen – ohne die angekündigte Finanzspritze von 4 Milliarden Mark der Stadt wäre die mehrheitlich landeseigene Bank längst pleite. Und bis heute weiß niemand so genau, wie und mit wem es weitergehen wird.
Die Kleinaktionäre jedenfalls, unter ihnen viele Angestellte der Bank, sind stinksauer. Sie mussten einen Wertverlust von knapp 50 Prozent hinnehmen – seit Januar. Sie fühlen sich an den Neuen Markt erinnert – die Bankgesellschaft ist aber nicht irgendeine Cash-burn-Internetklitsche, sondern gehört zu den zehn größten Finanzkonzernen dieses Landes. Wie ungemütlich es für die Verantwortlichen heute wird, zeigt ein nicht ganz gewöhlicher Vorgang: Ein Aktionär verklagt die Bank auf Schadenersatz. Er sieht sich aufgrund positiver Geschäftsberichte getäuscht, hatte beim Verkauf seiner Aktien einen Verlust von 130.000 Mark realisiert.
Im Mittelpunkt der Kritik steht Vorstandschef Wolfgang Rupf. Der Bankchef steht ab 10 Uhr nicht nur im Saal, sondern auch live im Internet Rede und Antwort. Keine leichte Aufgabe, verantwortet er doch einen tiefroten Jahresabschluss – nachdem die staatliche Bankenaufsicht bei Sonderprüfungen immer neue Risiken gefunden hatte und ein In-sich-Geschäft mit einer ominösen Finanzgruppe mit Sitz auf einer karibischen Steueroase gescheitert war. Es dürfte einer der letzten Auftritte des 1997 angetretenen Managers sein – der Sanierer mit der ruhigen Hand hat die verworren strukturierte Bank nie wirklich in den Griff gekriegt. Rupf bot dem Senat gestern seinen Rücktritt an. Er werde zu einem „geeigneten Zeitpunkt“ die Verantwortung weitergeben, hieß es.
Doch bevor es an Zukunftspläneschmieden geht, muss der Senat erst einmal cashen. Gestern beschloss Berlin als Mehrheitsaktionär eine Barkapitalerhöhung von vier zu eins für die Bankgesellschaft. Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD): „Wir werden in der Höhe unseres Anteils von 56,6 Prozent unmittelbar nach der Hauptversammlung zeichnen und bis kommenden Freitag 1,132 Milliarden Euro überweisen.“
Jetzt sind die beiden anderen Großaktionäre am Zug; die Norddeutsche Landesbank (NordLB) hält rund 20 Prozent, die Versicherungsgruppe Parion rund 7,5 Prozent der Anteile an der Bankgesellschaft. Ende September läuft die Zeichnungsfrist ab; bis dahin soll auch die neue Eignerstruktur geklärt sein. Der Senat ist bereit, auch die restlichen Anteile an der Aufstockung zu übernehmen. Sollten die bisherigen Großaktionäre kneifen, besäße Berlin dann rund 90 Prozent an der Bank.
Mit dieser Ankündigung erkauft sich der Senat eine bessere Verhandlungsposition im Streit um die künftige Eignerstruktur der Bank; die heiße Phase der Verhandlungen beginnt direkt nach der Hauptversammlung. Die NordLB hat bereits ein Angebot vorgelegt, das allerdings in Berlin verhalten aufgenommen wird. Die Bank aus Niedersachsen beansprucht offenbar die unternehmerische Führung, will dafür aber nicht genug zahlen.
Die Bewerber von außen stehen auch schon vor der Tür. Der Dachverband der Sparkassen hat „grundsätzliches Interesse“ bekundet. Der US-Investor Chris Flowers will in der ersten Septemberwoche ein konkretes Angebot einreichen. Für den Immobilienbereich und einzelne Tochtergesellschaften gibt es weitere Angebote. Doch eine „Filetierung“ der Bank schließt Wowereit aus. Ziel ist es, den Hauptsitz des Konzerns in Berlin zu erhalten und möglichst viele der ca. 16.000 Arbeitsplätze zu sichern.
Unabhängig von der neuen Eignerstruktur sind die Weichen für den Weg der Bank aber schon gestellt. Das Restrukturierungsprogramm ist beschlossene Sache. Nun heißt es Abschied nehmen von dem Projekt Großbank. Das Ziel jetzt: eine starke Regionalbank aufbauen. „Es wird eine Fokussierung auf Kunden in Berlin und Brandenburg vorgenommen“, heißt es in dem Programm. Kerngeschäft wird das so genannte Retailgeschäft sein, das sich Privatkunden und kleinen Firmen widmet. Das Immobilien-, Großkunden- und Finanzmarktgeschäft soll sich dem unterordnen. Die Marken Berliner Bank und Sparkasse bleiben erhalten. Obwohl der Konzern Kosten sparen will, brauchen Kunden und Beschäftigte keine Filialschließungen zu befürchten. „Die Filialen sind die lukrativen Standbeine der Bank“, ist sich Berliner-Bank-Betriebsrat Wilfried Neumann sicher. „Wir gehen davon aus, dass künftige Investoren dieses Konzept nicht umschmeißen.“
Mit dem heutigen Tag geht dennoch ein Stück Geschichte des Berliner Nachwende-Größenwahns zu Ende. Der Versuch, ein Bankenkonglomerat aus öffentlich-rechtlichen Instituten und Privatbanken zu einem internationalen Konzern aufzublasen, ist endgültig gescheitert. Schuld daran war nicht nur das mit dem Geruch der Korruption behaftete Aubis-Geschäft, das den ehemaligen Bankenmanager und CDU-Fraktionsvorsitzenden Klaus Landowsky den Posten gekostet hat. Landowsky hatte 1995 eine Parteispende von Immoblienunternehmern entgegengenommen, die zeitnah einen in der Bank umstrittenen Millionenkredit erhalten hatten.
Ursache des Niedergangs der Bank war auch ihr Versuch, möglichst schnell im Konzert der Großen mitspielen zu wollen. Weit mehr als andere engagierte sie sich in Ostdeutschland – in der Hoffnung, am Boom partizipieren zu können. Aus dem Boom wurde nichts, in der Bank häuften sich Risiken von mehr als 10 Milliarden Mark an, und die bankrotte Stadt muss jetzt einspringen.
Dass der Kapitalismus ihn behindernde Strukturen radikal aufbricht – der Fall Bankgesellschaft ist eine Lehrstück dafür. Denn das ökonomische Scheitern der Bank hat das gesamte politische Nachwendesystem – geprägt von einer strukturkonservativen und durchaus sozialstaatlich orientierten West-CDU – zum Einsturz gebracht. Die große Koalition ist geplatzt, und aller Voraussicht nach wird demnächst eine rot-rote Koalition die Berliner das Sparen lehren. Modernisierung auf Preußisch.
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