: Ja, die Logistik, das ist schon eine interessante Arbeit
Die strahlende Zukunft
In Berlin gibt es traditionell viele Fuhrunternehmen, die sich erst in Speditionsbetriebe und dann in Logistikunternehmen umbenannten. Der Grund war im Osten der demokratische Zentralismus, wobei nur der VEB Deutrans übrig blieb, und im Westen die Berlinförderung, die besonders den Fuhrknechten viel Arbeit verschaffte – z. B. wurden Schweine nach Westberlin gekarrt, wo ihnen die Ohren abgeschnitten wurden, um die Zulage zu kassieren, und dann fuhren sie wieder zurück zu einem westdeutschen Schlachthof.
Seitdem die Berlinförderung abgeschafft ist, werden immer mehr Fuhrleute arbeitslos. Neulich saß ich in der Moabiter Arbeitsamtskneipe „Bei Anni“. Am Nebentisch saßen vier Arbeitslose. Sie kamen aus ein und der selben Branche, aus Fuhrunternehmen. Aber drei trugen Sportswear und waren augenscheinlich Hand- bzw. Lagerarbeiter, während der dritte in einer Jeans mit Anzugjacke und Schlips steckte, wahrscheinlich ein Kopfarbeiter – also ein Speditionskaufmann. Nachdem sie vier Bier bestellt hatten, kamen sie auf komische Aufträge während ihres früheren Berufslebens zu sprechen.
Der mit dem Schlips erzählte: Ich arbeitete mal bei einem Fuhrunternehmer, der exklusiv für Siemens tätig war und z. B. Transporte mit Radioaktivität durchführen durfte. D. h., wir fuhren medizinische Geräte und so was aus. In der Wende haben wir auch viel Telekom-Zeugs, Black Boxes und so, an Stasi-Objekte in Ostberlin geliefert, die haben damals noch schnell nachgerüstet. Unsere Fahrer wurden aber schon verfolgt damals – von der Volkspolizei, die folgten denen bis nach Kreuzberg rein. Einmal rief der Chef aller DDR-Wetterwarten bei uns an: Er hätte gerade aus allen die plutoniumgefüllten „Herzen“ rausgenommen. Wo bitte schön könne er nun diesen radioaktiven Abfall loswerden? Ich fragte ihn, wo die Kapseln denn lagern würden und wie. Bei mir zu Hause sagte er, in einer Plastiktüte. Bleiben Sie, wo Sie sind, sagte ich ihm, und benachrichtigte sofort den Strahlenschutz, die haben das dann mit Tatütata abgeholt. Die im Osten sind nicht so hysterisch mit Radioaktivität – die haben das mit der strahlenden Zukunft noch ernst genommen.
Danach gab’s noch einen bemerkenswerten Auftrag – von der Verwertungsgesellschaft für die Berliner Mauer, die haben ihr Kernstück, das vorm Brandenburger Tor, nach New York verkauft – und wir mussten es nach Rostock transportieren, wo es auf ein Kriegsschiff verladen wurde. Ja, die Logistik, das ist schon eine interessante Arbeit ...
Mir fallen dazu immer nur die sinnlosesten Tätigkeiten ein – alle anderen habe ich vergessen. So habe ich z. B. mal während der Ölkrise in einer Speditionshalle gearbeitet, die voll war mit Granulat, aus dem Plastik hergestellt wird – sozusagen der Rohstoff: Zigtausende von Säcken, den ganzen Tag mussten wir sie umschichten. Die hatte ein Spekulant, der immer im „Kempinski“ rumsaß, der hatte also zwei Taschen – eine für Ausgaben und eine für Einnahmen, also dieser Mensch hatte die billig gekauft und gelagert – und in der Ölkrise, als auch die Granulatpreise anstiegen, hatte er das ganze Zeug an Klöckner-Stahl verkauft. Dann war aber die Ölkrise plötzlich vorbei und Klöckner wollte das Granulat schnell verkaufen – an eine Plastikbude. Die wollten das auch haben, kuckten sich jedoch als Profis das Zeug erst mal an. Dabei haben sie gemerkt: die Bezeichnungen auf den Säcken stimmten nicht mit dem Inhalt überein. Also verklagte Klöckner den Kempinski-Spekulanten. Dazu rückten zwei Leute von der Firma Controllco an und entnahmen Proben. Wir mussten ihnen die vor die Nase halten. Das war unser Job – wochenlang ...
Mir ist auch mal so was Blödes bei einer Spedition im Wedding untergekommen. Da hatte eine englische Firma neue Bonbons auf den westdeutschen Markt geworfen gehabt – über unsere Spedition. Nun war das Zeug aber in den Kiosken und Supermärkten und sonstwo nicht gelaufen. Und da hat die englische Firma die Dropsrollen wieder einsammeln und nach England zurückverfrachten lassen. Das waren etliche Lkws, die wir damit vollladen mussten. Und das nur, damit man das Zeug in England vernichten konnte und die Firma ihre Zuckersteuer wiederbekam, die sie gezahlt hatte ...
In unserer Spedition hatten wir noch eine Sackreinigung nebenbei, in der Studenten arbeiteten. Die mussten leere, verschmutzte Zuckersäcke so lange an einer Maschine wenden, bis sie sauber waren, dann haben sie neun in einen zehnten gepackt, den zugeschnürt und in die Ecke geschmissen. Irgendwann mussten mein Kumpel und ich die dann alle auf einen Lkw laden. Dabei ist mir ein Sack aufgegangen. Beim Reinstopfen habe ich nachgezählt. Darüber kann ich mich heute noch ärgern. Es waren nur acht Säcke drin statt neun. Und das hat auch noch der Lagerverwalter in dem Moment mitgekriegt. Prompt mussten wir alle Säcke nachzählen. Und tatsächlich: Es waren entweder 11 oder 12 drin oder 7 oder 8, aber nie 9. Was haben wir geflucht. „Das war Sabotage!“, schimpfte der Verwalter – er kam aus dem Osten. HELMUT HÖGE
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