: Verschwundene Gegner im Visier
In einem Video beschuldigen zwei Exmitarbeiter des KBG die weißrussische Regierung, die Ermordung oppositioneller Politiker in Auftrag gegeben zu haben. Die offiziellen Stellen wiegeln ab, schicken aber den Innenminister zum Ortstermin
von BARBARA OERTEL
Auch wenn er den Sieg bei den Präsidentschaftswahlen dank massiver Einschüchterung sowie Druck auf Nichtregierungsorganisationen und unabhängige Medien in knapp zwei Wochen schon in der Tasche zu haben glaubt, wächst jetzt der Druck auf Weißrusslands autoritären Staatspräsidenten Alexander Lukaschenko: Gestern fühlte sich die Regierung in Minsk erstmals genötigt, den Fällen verschwundender und wahrscheinlich ermordeter Oppositionspolitiker nachzugehen. Zu diesem Zweck bequemte sich Innenminister Wladimir Naumow gestern nach Angaben der Agentur Interfax höchstpersönlich in eine Polizeikaserne in Begoml bei Minsk. Dort soll der angeblich erschossene ehemalige Vizeregierungschefs Viktor Gontschar verscharrt worden sein.
Der Grund für die plötzliche Eile ist ein Video, das in zwölf Kopien am Montag allen russischen Fernsehsendern zugespielt worden war. Darin warten zwei Personen, Andrej Jernosek und Gennadi Ugljaniza, die sich als Ermittler des weißrussischen KGB präsentieren und sich derzeit an einem unbekannten Ort aufhalten, mit grausigen Details über das Schicksal der verschwundenen Oppositionspolitiker auf.
Ihrer Aussage zufolge seien sowohl Gontschar als auch der Geschäftsmann Anatoli Krasovski, die im September 1999 verschwanden, von einer Todesschwadron ermordet und in einem Wald in der Nähe von Begoml begraben worden. Zudem beschuldigen sie Juri Sivakov, den ehemaligen Innenminister und derzeitigen Chef der Präsidialadministration, bei den Morden an Gontschar, Krasovski sowie Exinnenminister Juri Sacharenko die Fäden gezogen zu haben.
Doch nicht nur die beiden Ex-KBGler packen aus. Auch der frühere Direktor eines weißrussischen Gefängnisses mit Hinrichtungstrakt, Oberst Oleg Alkajew, der nach Berlin geflohen ist, erhebt schwere Vorwürfe gegen Lukaschenko. Der Präsident habe, so Alkajew, die Ermordung politischer Gegner angeordnet und gedeckt. Ein Indiz dafür sei der vorzeitige Abbruch der Ermittlungen und die Verwicklung Lukaschenkos in die Vertuschung der Fälle.
Die weißrussische Regierung quittierte die jüngsten Anschuldigungen in gewohnter Manier. Jernosek und Ugljaniza hätten nie beim KGB gearbeitet, ließ der Geheimdienst mitteilen. Die Anschuldigungen Alkajews tat die Staatsanwaltschaft als Lüge und Provokation vor den Präsidentenwahlen am 9. September ab, die nicht für Untersuchungen genutzt werden könnten.
Für Alexander Starikevitsch, Chefredakteur der Gewerkschaftszeitung Belaruski Tschas, unterliegt die Existenz der Todesschwadronen keinem Zweifel mehr. Vielleicht habe die Staatsmacht noch ganz andere Szenarien in der Hinterhand. So kursiere laut Starikevitsch in Minsk das Szenario, dass der ebenfalls seit über einem Jahr verschwundenen Mitarbeiter des russischen TV-Senders ORT, Dmitri Savadski, wenige Tage vor den Wahlen auf Anordnung von oben wieder auftauchen könnte, nach dem Motto: Da sehe man ja, dass den Verschwundenen überhaupt nicht passiert sei.
Während sich derzeit alle Aufmerksamkeit auf die Fälle der Verschwundenen richtet, schlägt das Regime weiter um sich. Vor wenigen Tagen wurde der US-Gewerkschaftler Robert Fielding von den weißrussischen Behörden des Landes verwiesen. Zur Begründung hieß es, er habe sich in die inneren Angelegenheiten des Landes eingemischt, da er an einer Wahlveranstaltung zur Unterstützung von Lukaschenkos Gegenkandidat Wladimir Gontscharik teilgenommen habe. „Lukaschenko hat bei diesen Wahlen mehr zu verlieren als nur die Macht“, sagt Starikevitsch. „Bei einer Niederlage geht er nicht in Pension, sondern ins Gefängnis.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen