: Der Euro im Visier der Diebe
Im letzten Jahr wurden in Frankreich 96 Geldtransporte überfallen. Jetzt wird der Euro ausgeliefert. Die Branche fürchtet um ihre Sicherheit
aus Paris DOROTHEA HAHN
„Her mit den Euros!“ Vor diesem Satz zittert in Frankreich ein ganzer Berufszweig. Denn die rund 7.000 Geldtransporteure werden trotz kugelsicherer Westen, gepanzerter Wagen und Satellitenüberwachung immer häufiger überfallen. Nicht selten mit tödlichem Ausgang. Vorerst letztes Opfer: Eric Sage. Er starb, als er am 2. August eine Bank in Vénissieux bei Lyon mit Geld beliefern wollte. Die schwer bewaffneten Gangster hatten sich hinter einem Bauzaun versteckt.
„Wir werden abgeknallt wie die Karnickel“, klagten Sages Kollegen, als sie den 29-Jährigen zu Grabe trugen. Weder von ihren Chefs noch vom Staat fühlen sie sich hinreichend geschützt. Sage war der 16. im Dienst ermordete Geldtransporteur in Frankreich in nur fünf Jahren.
Die Tendenz bei derartigen Gewaltverbrechen ist rasant steigend. Das zeigen die Statistiken der Branche. Im Jahr 2000 wurden nach Angaben des Arbeitgeberverbandes Syloval in Frankreich 96 Geldtransporte überfallen. Bilanz: vier ermordete und dreizehn verletzte Transporteure – gegenüber 65 Überfällen mit zwei toten und vier verletzten Geldtransporteuren im Vorjahr.
Neben den bekannten aufwendigen Überfalltechniken, bei denen Geldtransporter auf offener Landstraße zwischen Lastern eingekeilt werden, nehmen kleinere – und vielfach brutalere – Überfälle zu, bei denen die Räuber die Geldtransporteure auf dem Fußweg zwischen Fahrzeug und Bank oder Geldautomat überfallen.
Der Countdown läuft
In dieser extrem angespannten Atmosphäre beginnt Anfang September der größte Geldtransport der Geschichte. In den zwölf Ländern der Eurozone müssen bis zur Abschaffung der alten nationalen Währungen zwischen Mitte und Ende Februar kommenden Jahres insgesamt 50 Milliarden neue Geldstücke mit einem Gewicht von 239.000 Tonnen sowie 15 Milliarden Geldscheine an Banken und Einkaufszentren geliefert werden. Aneinander gelegt ergäben sie eine 1,9 Millionen Kilometer lange Strecke beziehungsweise fünf Mal den Abstand zwischen Erde und Mond.
Allein Frankreichs Geldtransporteure müssen in dieser Zeit Münzgeld mit einem Gewicht von 34.000 Tonnen und Papiergeld im Wert von mehr als 50 Milliarden Euro bewegen. Auf den Rückwegen müssen sie Milliarden von alten Francs abtransportieren. Erschwerend kommt hinzu, dass sich die „Operation Euro“ sowohl mit dem Weihnachtsgeschäft als auch dem Winterschlussverkauf im Januar kreuzt, wenn ohnehin große Geldtransporte anfallen.
In den kommenden Wochen werden täglich 1.500 französische Geldtransporte unterwegs sein. So viel Geld auf den Straßen wird – darin sind sich alle einig – viele interessieren. Auch die französische Verbrecherszene. Polizeiexperten vermuten, dass einzelne spektakuläre Überfälle am Jahresende 2000 schlicht Generalproben für die Euro-Operation waren.
Der sozialdemokratische Innenminister Daniel Vaillant hat deswegen den „Plan Euro Sécurité“ vorbereitet, der am 1. September in Kraft tritt. Ähnlich der „Piratenwache“, bei der Mitte der 90er-Jahre Tausende Polizisten und Soldaten im Einsatz waren, um islamistische Bombenanschläge zu verhindern, sollen auch jetzt wieder alle Kräfte mobilisiert werden. Sie werden die 95 Euro-Zwischenlager im Land bewachen und besonders große Geldtransporte auf Staatskosten eskortieren. Allerdings soll die Begleitung auf zwei Transporte pro Tag und Unternehmen begrenzt sein. Das ist nicht viel in einer Branche, die zu neunzig Prozent auf zwei Unternehmen konzentriert ist – Brink’s und Valiance.
Den Gewerkschaften der Geldtransporteure reichen diese Zusagen nicht. Nach dem Mord an ihrem Kollegen Eric Sage bei Lyon haben sie erneut an die Regierung und an ihre Arbeitgeber appelliert. Sie verlangen, dass für die kritische Zeit der Euroeinführung zusätzliches Personal eingestellt wird und dass auch kleinere Geldtransporte von Polizei und Militär eskortiert werden.
Überstunden stehen an
Roger Poletti, Chef der einflussreichen Gewerkschaft FO-Transport, befürchtet, dass es außer zu Überfällen auf Panzerwagen auch zu Geiselnahmen an den Zwischenlagern kommen könnte. „Die Operation Euro ist katastrophal schlecht vorbereitet“, wettert er, „gegenwärtig ist die komplette Unsicherheit auf Seiten der Geldtransporteure. Dieses Verhältnis muss umgedreht werden. Zuungunsten der kriminellen Szene.“
Auch Jean-Luc Touitout, Verantwortlicher bei der Gewerkschaft CFDT, verlangt zusätzliche Garantien vom Staat. „Der Euro ist eine politische Entscheidung“, sagt er, „jetzt Privatunternehmen die technische Umsetzung zu überlassen, ist unverantwortlich.“
Die neunzehn französischen Geldtransportunternehmer, die in den kommenden Monaten dank des Euro den Umsatz ihres Lebens machen werden, haben für diese Zeit nicht massiv neue Leute eingestellt. Sie setzen stattdessen auf Überstunden. Das Pariser Transportministerium prüft gegenwärtig ihre entsprechenden Anträge. Wenn es nach dem Willen der Unternehmer geht, werden die Geldtransporteure in Frankreich, wo die Fünfunddreißigstundenwoche die Regel ist, in der heißen Europhase rund 48 Stunden pro Woche arbeiten.
Tatsächlich ist es nicht einfach, Personal für Geldtransporte in Frankreich zu finden. Nicht nur wegen der Risiken des Metiers, sondern auch wegen der niedrigen Löhne, die selten über 1.200 Euro liegen. Hinzu kommt, dass jeder Geldtransporteur vor seinem ersten Einsatz einen Waffenschein erwerben und eine polizeiliche Überprüfung durchlaufen muss. Das sind langwierige Prozeduren.
Wie dringend die Sicherheit der Beschäftigten im französischen Bankensektor verbessert gehört, hat sich erst kürzlich wieder gezeigt. Bei einem Sparkassenüberfall vor zweieinhalb Wochen, am 11. August, im Pariser Vorort Cergy gaben Angestellte zwar umgehend Alarm an ihre Zentrale. Dennoch vergingen mehr als zwei Stunden, bis die Polizei verständigt wurde. Als die schließlich am Tatort eintraf, hatte der Geiselnehmer bereits zwei Personen im Inneren der Zweigstelle erschossen.
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