: „Lieber kein Gesetz als dieses“
Interview EBERHARD SEIDEL und LUKAS WALLRAFF
taz: Herr Wieland, die Grünen können einem Leid tun.
Wolfgang Wieland: Ist das eine Frage oder eine Feststellung?
Eine Feststellung.
Ich denke weder, dass wir Mitleid benötigen, noch dass wir Mitleid erregend agieren.
Die Grünen hecheln nicht nur in der Globalisierungskritik einer neuen sozialen Bewegung hinterher. Sie haben auch hingenommen, dass SPD und Union den Kurs beim urgrünen Thema Einwanderung vorgeben. Seit der Niederlage mit dem Doppelpass war von den Grünen nicht mehr viel zu hören.
Es stimmt, das Einwanderungsgesetz ist durch Schröders Green-Card-Initiative auf die politische Agenda gekommen. Das ist nicht die Initiative der Grünen gewesen, das war mehr dem spontanen Reflex des Bundeskanzlers geschuldet.
Dann hat sich Innenminister Otto Schily des Themas angenommen. Ohne die Grünen.
Wir können das Ressortprinzip in der Bundesregierung nicht aushebeln. Dies besagt, dass erst einmal der Bundesinnenminister einen Entwurf vorlegt. Jetzt wird doch diskutiert.
Wir haben das Gefühl, vielen Grünen war es eigentlich ganz recht, erst einmal abzuwarten, weil sie das Thema Einwanderung als Loser-Thema betrachten.
Für einen Teil der Bundestagsabgeordneten ist Einwanderung tatsächlich eher ein Schmuddelthema, mit dem man nicht punkten kann. Aber in der Partei gibt es immer noch eine deutliche Mehrheit, die sich von dem traditionellen Eintreten der Grünen für Migration und Minderheiten nicht verabschiedet hat.
Warum melden sich die Grünen dann erst jetzt mit Kritik an Schilys Entwurf für ein Einwanderungsgesetz? Der liegt doch schon seit vier Wochen auf dem Tisch.
Schily hat seinen Entwurf geradezu handstreichartig, mitten in der Sommerpause vorgelegt. Und keiner konnte gleich alle 250 Seiten lesen. Da hatten nicht nur die Grünen Probleme. Die gesamte Presse hat ihn positiv rezipiert. Mir ist bis auf die taz niemand bekannt, der am Tag nach der Vorstellung kritische Töne angeschlagen hätte. Als wir den Entwurf dann durchgearbeitet haben, bekamen wir von Paragraf zu Paragraf eine grauere Gesichtsfarbe. Nach der Lektüre muss man sagen: Es ist ungenießbar, was hier vorgelegt wurde. Bestellt war ein Einwanderungsgesetz, das menschenrechtlichen Ansprüchen genügt, das modern und europatauglich ist. Das wurde nicht geliefert. Um es in der Sprache der Gourmets auszudrücken: Bestellt war ein Saltimbocca alla Romana, geliefert wurde ein ungenießbares Eisbein.
Was schmeckt Ihnen nicht?
Zunächst einmal: Schily plant eine Einwanderungsregelung, die nur in der Hand der Exekutive liegt, die ohne Beteiligung des Bundestages und ohne Beteiligung gesellschaftlicher Gruppierungen durchgeführt werden soll. Darüber hinaus werden enorme Ermessensspielräume für die Verwaltungen geschaffen – ohne zu wissen, wie diese dann genutzt werden. Das bedeutet einen Verlust an Rechtssicherheit, insbesondere für Flüchtlinge. Zum Beispiel ist völlig unklar: Was wird aus den bisher Geduldeten, nachdem die Duldung abgeschafft wird? Die Angst ist berechtigt, dass es noch mehr Sans-papiers geben wird – so genannte Illegale. Ungenießbar sind auch die unterschiedlichen Regelungen beim Nachzugsalter – je nachdem, ob die Eltern angeblich von besonderer Nützlichkeit sind für die Wirtschaftsentwicklung oder nicht.
Viele dieser Punkte waren doch am ersten Tag schon bekannt. Dazu musste man nicht erst 250 Seiten lesen. Dennoch hat kaum ein Grüner protestiert.
Naja, es wurde ja von Kröten gesprochen . . .
. . . die alle „gut nach rechts und links verteilt“ seien, wie Ihr innenpolitischer Sprecher Cem Özdemir sagte. Auch Parteichefin Claudia Roth wollte zunächst nur „Nachbesserungen“.
Ich will hier nicht die Reaktionsweise grüner Parteifreundinnen und Parteifreunde erklären oder rechtfertigen. Ich kann mich nur dazu äußern, was ich von dem Entwurf halte.
Sie scheinen aber der Meinung zu sein, dass es nötig ist, die Parteispitze noch einmal zu sensibilisieren für die vielen Kröten, die in dem Schily-Entwurf enthalten sind . . .
. . . sonst hätten ich und die Kollegen anderer Landesverbände diesen Brief an die Parteispitze nicht geschrieben. Wir sind alarmiert, denn es rührt an grüne Grundüberzeugungen, was hier geplant wird. Unser Vorschlag, den wir in dem Brief an den grünen Bundesvorstand gemacht haben, ist zunächst ein ordnungsgemäßes Beratungs- und Gesetzgebungsverfahren durchzusetzen mit Anhörung von Verbänden und allem Drum und Dran. Dafür braucht man mehr Zeit als bisher geplant. Ich kann mir im Moment kaum vorstellen, dass wir das alles in dieser Legislaturperiode noch schaffen.
Da scheint es eine unterschiedliche Betrachtungsweise zu geben, zwischen Bundesparteispitze und den Landesverbänden.
Die gibt es. Das liegt in der Natur der Sache. Regierungsmitglieder und auch Parteispitzen neigen natürlich dazu, Dinge mit dem Koalitionspartner gemeinsam geregelt zu bekommen. Deutliche Worte und der Hinweis, dass es Unzumutbarkeiten gibt, kommen gemeinhin und kommt zu Recht von anderer Stelle.
Dass diese deutlichen Worte zu einem Koalitionsstreit führen werden, nehmen Sie in Kauf?
Wir äußern Umgestaltungswünsche. Wenn diese nicht berücksichtigt werden können, bin ich dafür, eine Aufteilung des Gesetzes vorzunehmen und zunächst nur den Einwanderungsteil zu machen. Lieber kein Gesetz als dieses. Mit diesem Gesetz können wir nicht leben. Einwanderung für wenige und eine Statusverschlechterung für viele – das darf es nicht geben.
Reicht es nach drei Jahren an der Regierung für die Grünen, lediglich Verschlechterungen verhindert zu haben?
Sollten diese Verschlechterungen kommen, wird tatsächlich niemand mehr über unsere Erfolge reden. Und die gab es ja durchaus. Positiv ist, dass es überhaupt einen ersten Schritt in Richtung Einwanderung gibt. Es war auch richtig, eine Änderung des Staatsbürgerschaftsrechts vorzunehmen, auch wenn wir den Doppelpass nicht durchsetzen konnten. Ich erinnere auch an die Arbeitsmöglichkeit für Asylbewerber.
Wenn Sie sagen, lieber kein Gesetz als dieses, kommen Sie da nicht wieder in das alte Dilemma zwischen Prinzipientreue und Neinsager-Image?
Wenn die Grünen von anderen Parteien nicht mehr unterscheidbar sind, dann braucht man sie nicht und dann wählt man sie auch nicht. Ich beharre aber darauf, dass mein Horror vor einem solchen Gesetz vor allem der Horror eines in Ausländerfragen erfahrenen Anwalts ist und ich nicht morgens aufwache und denke, mach ich im Wahlkampf Punkte mit diesem Thema?
Trotzdem machen Sie sich doch auch darüber Gedanken. Wie wichtig ist das Thema Einwanderung im Berliner Wahlkampf?
Noch ist es keines, aber mit diesem Gesetzentwurf wird es natürlich eines werden. Und das ist auch richtig. Wir haben als Grüne ganz deutlich gesagt: „Mehr Inhalte wagen“ wollen wir zu unserem Wahlkampfmotto machen – nicht nur diese Show-Elemente, für die andere stehen. Unser Thema muss sein: Wofür stehen die Grünen, warum soll man Grün wählen? Und Integrationspolitik, multikulturelles Zusammenleben in der Stadt, Verbesserung in der Integration, das ist im grünen Landesverband immer ganz hoch angesiedelt gewesen.
Der SPD-Innenpolitiker Wiefelspütz sagt zu Ihren Bedenken, das seien esoterische Vorstellungen und die Grünen sollten sich überlegen, ob sie beim Konsens mitmachen oder am Rand schwimmen wollen.
Ich denke, dass sich solche abfälligen Äußerungen gegen die wenden werden, die sie gebrauchen. Die Bischöfe und Kardinäle sind möglicherweise Esoteriker, aber ganz unbeachtlich sind sie nicht – genauso wenig wie die vielen anderen, die sich in karitativen Bereichen täglich um Flüchtlinge kümmern. Alle, die Migration und Flucht bisher unter menschenrechtlichen Aspekten gesehen haben, und nicht zuerst unter Aspekten der Nützlichkeit, werden gegen diesen Entwurf ihre Stimme erheben, wenn sie den Entwurf durchgearbeitet haben. Sie wird von Woche zu Woche lauter werden.
Auf der Gegenseite wird die Union auch immer lauter. Graust es Ihnen nicht vor einem Zuwanderungs-Wahlkampf?
Wer sich davor fürchtet, hat schon verloren. Wir müssen einem solchen Wahlkampf intelligent begegnen und dürfen uns nicht wie in Hessen überraschen lassen, als es um den Doppelpass ging. Man darf nicht zu kleinmütig sein und muss Vertrauen haben in den Verstand der Wähler.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen