: Im Auge von Attac
■ Aus Verden kommt die deutsche Kritik zur Globalisierung
In der Artilleriestraße in Verden steht ein peaciges Haus: Sonnenkollektoren auf dem Dach, ein großes Schild „Ökozentrum“ vor der Backstein-Mauer, eine Sitzecke aus Holz-Gartenmöbeln steht einladend unter einem schattenspendenden Baum vor dem Haus. Früher war das Haus noch von der englischen Armee besetzt, seit ein paar Jahren wird es gründlich ökologisch saniert und ausgebaut – für alles, was den strengen Kriterien der Ökologie und Selbstverwaltung genügt.
„Attac“, die neue internationale Bewegung „für eine solidarische Weltwirtschaft gegen neoliberale Globalisierung“, hat hier ihre Deutschland-Adresse. Draußen ahnt man davon nichts, auf dem fast vier Meter großen „Öko-Zentrum“-Schild ist nicht einmal ein kleiner Hinweis untergebracht. In den Attac-Büroräumen türmen sich Stapel von Papieren, mehrere PCs laufen, ein Transparent mit der zentralen Forderung „Tobin-Steuer jetzt“ ist dekorativ an die Wand gelehnt, als wäre gerade erst ein Fernseh-team da gewesen.
„Nach Genua“ ist für Attac Deutschland eine neue Zeit angebrochen, sagt Oliver Moldenhauer, 30-jähriger Physiker und seit einigen Monaten ehrenamtlicher Aktivist beim deutschen „Koordinierungskreis“ von Attac. „Attac“ ist die deutsche Übersetzung der französischen „Vereinigung zur Besteuerung von Finanzaktionen im Interesse der Menschen“. Ein sehr missverständliches Etikett, findet Moldenhauer, denn es suggeriert so viel von „Angriff“, dass die Aktivisten „nach Genua“ erstmal lange Texte über Gewalt und Gewaltfreiheit verfassen mussten.
Der Protest gegen das komplizierte Problem der Besteuerung allein wäre wohl zu wenig, um Attac zu erklären. Aber merkwürdigerweise wurde die Besteuerungs-Forderung, die nach dem US-Nobelpreisträger „Tobin“ benannt ist, zum Katalysator einer ganzen Bewegung.
1.200 Mitglieder hat Attac inzwischen, ganze Organisationen vom „Weed e.V.“ oder der kirchlichen „Kairos“-Gruppe bis zu den Gewerkschaften ÖTV und HBV sind Mitglied, Einzelpersonen aus SPD, Grünen, PDS von Oskar Lafontaine bis Oliver Moldenhauer. Eben Leute, die Solidarität und Ökologie nicht nur als kosmetisches Beiwerk begreifen wollen, sondern „die Fragen der Macht und der Verteilung stellen“. Und lernen müssen, dass die rot-grüne Bundesregierung in wesentlichen Fragen nur das exekutiert, was die ökonomische Macht verlangt. Oder das so etwas wie Fischtreppen lokal durchsetzbar sind und als „rotgrüner Erfolg“ gefeiert werden, während das kommunale Stromnetz ohne großen Widerstand einem Konzern verkauft wird.
Das Ganze sei doch ein Missverhältnis, sagt Oliver Moldenhauer. Er war früher bei den Grünen aktiv, sogar Kreisgeschäftsführer in Delmenhorst. Nach dem Physikstudium arbeitete er in Potsdam im Bereich Klimaforschung und wenn er mehr Zeit hätte, würde er seine Doktorarbeit fertig machen. Aber Zeit hat er nicht.
Täglich kommen an die 30 Mitgliedsbeitritte, in den nächsten Wochen gibt es mehrere internationale Aktionen. Schließlich will sich der Koordinationskreis auch um die lokalen Gruppen kümmern, die wie die Pilze aus dem Boden schießen (zum Beispiel am 27.9. in Oldenburg). Auf dem bundesweiten Kongress im Oktober in Berlin wird man über den Koordinierungs-Rahmen sprechen. Bisher kam man mit dem Konsensprinzip aus, der Koordinationskreis wurde lediglich per Zuruf auf einer Vollversammlung bestimmt. Bei 1.200 Mitgliedern könnte das jetzt schwierig werden.
Dabei will das Netzwerk, das im Januar 2000 in Deutschland gegründet wurde (und in Italien übrigens erst zwei Monate vor „Genua“), in keinem Fall eine Partei ersetzen, sondern eher zu punktuellen Zielen vereinen – vor dem Hintergrund einer eher allgemeinen Vision der Art: „Die Zukunft der Welt in die eigenen Hände nehmen“.
Rahmenbedingungen will Attac durchsetzen. „Für eine solidarische Weltwirtschaft“, steht in ihrem Logo. Die internationalen Konferenzen bestimmen den Terminkalender von Attac, und der Slogan „Globalisierung von unten“ bedeutet in der Praxis vor allem, eine breite Öffentlichkeit über die Entscheidungsstrukturen der Globalisierung zu informieren – und punktuellen Protest zu organisieren.
„Eine der globalen Strukturen ist das Internet“, sagt Moldenhauer, „und ohne das Internet wäre Attac nicht denkbar.“ Da werden die Informationen ausgetauscht, Brasilien, Tunesien, Quebec, Skandinavien – kein Problem. Im Zeitalter der Globalisierung erfordert die Organisation eines internationalen Netzwerkes eben nicht mehr als ein paar PCs.
Klaus Wolschner
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