: Bei SOS entert die Eliteeinheit
Australiens Marine besetzt die „Tampa“ mit schiffbrüchigen Flüchtlingen an Bord. Seerechtsexperte Lagoni: Bei einer Notlage muss die Regierung den Frachter einlaufen lassen. Cap Anamur: Es gibt Kapitäne, die wegschauen statt Hilfe zu leisten
von GEORG LÖWISCH
Die Antwort auf einen SOS-Ruf hatte sich die Besatzung des Frachters „Tampa“ anders vorgestellt. Schwer bewaffnete australische Elitesoldaten enterten gestern den norwegischen Frachter von drei Schnellbooten aus. Ihr Ziel: zu verhindern, dass die 438 schiffbrüchigen Flüchtlinge, die Kapitän Arne Rinnan an Bord genommen hatte, auf die zu Australien gehörenden Weihnachtsinseln gelangen. Stattdessen soll die „Tampa“ aus australischen Hoheitsgewässern verschwinden, in die das Schiff ohne Genehmigung gefahren war.
Kapitän Rinnan hatte SOS gefunkt, weil die Lage auf dem Schiff bedrohlich ist. Die Flüchtlinge, darunter auch Kinder und Schwangere, sind zwischen Containern zusammengedrängt. Einige drohen, über Bord zu springen, falls sie kein Asyl in Australien bekommen, andere sind im Hungerstreik. Doch die Regierung in Canberra bleibt hart.
Dabei muss nach den Worten des Seerechtsprofessors Rainer Lagoni von der Uni Hamburg ein Staat ein Schiff einlaufen lassen, wenn der Kapitän eine Seenotslage erklärt. Das sei völkerrechtliches Gewohnheitsrecht: „Eine Seenotslage haben sie zum Beispiel, wenn die Leute rebellisch werden.“ Auf der „Tampa“ haben die Flüchtlinge mit Gewalt gedroht, falls der Frachter sich von den Inseln entfernen sollte. Lagoni sagte, sei das Schiff erst im Hafen, befinde es sich in der Hoheitsgewalt Australiens: „Wie der Staat die wieder los wird, ist sein Problem. Aber Duschen, zu essen geben und dann wieder aufs Schiff schicken, geht nicht.“
Angesichts des Hin und Hers ist Kapitän Rinnan enttäuscht: „Wir haben uns wie gute Seeleute verhalten“, klagte er: „Jetzt haben wir dieses Problem auf dem Buckel.“ Diese Einsicht wirft die Frage auf, ob andere Kapitäne in solchen Fällen lieber auf „Volle Kraft voraus“ schalten. Das hat Jürgen Stolle, Chef des Hamburger Kapitänsvereins, noch nie gehört: „Ein Kapitän hat zu helfen, das ist seit Jahrhunderten so.“ Vom Gegenteil berichtet Christel Neudeck vom Hilfskomitee Cap Anamur. „Flüchtlinge haben uns sehr häufig berichtet, dass Kapitäne einfach weggeschaut haben.“ Sie sei überzeugt, dass das immer noch so sei. „Heute wird noch schärfer gerechnet.“
Auch Klaus Meyer, Fachgruppenleiter der Gewerkschaft Ver.di in Hamburg, will von Fällen aus Ostasien und dem Mittelmeer erfahren haben, in denen Kapitäne schiffbrüchige Flüchtlinge ignoriert hätten. Konkretes kann er nicht sagen. „Seeleute berichten uns das, es wird Ihnen aber niemand beschreiben.“
Flüchtlinge aufzunehmen, kann tatsächlich teuer werden. Ein Frachter verursacht hohe Kosten, wenn er nicht fährt oder den Kurs ändern muss. Im Trend liegen seit Jahren gecharterte Schiffe, die anders als Linienschiffe nicht nach Fahrplan fahren. In Charterverträgen stehen enge Zeitvorgaben. Werden die nicht eingehalten, muss der Reeder Strafe bezahlen. Dazu kommen Treibstoff, Zinsen für Schiffsfinanzierung und die Versorgung der Flüchtlinge.
Sich gegen die Kosten zu versichern, sei vielen Reedereien zu teuer, sagt der Gewerkschafter Meyer. Ein Teil der Schiffseigner zahlt in so genannte P & I-Clubs ein, um sich gegen Risiken abzusichern. Inwieweit die Clubs einen Fall wie den der „Tampa“ abdecken, ist von Fall zu Fall unterschiedlich. „Wir klären die rechtliche Lage ab“, sagte Klaus Köster vom Verband Deutscher Reeder.
Kapitänen, die anders handeln als der Norweger Rinnan, droht ein Verfahren wegen unterlassener Hilfeleistung und der Verlust ihres Patents. Klaus Meyer von Ver.di berichtet, deshalb sei nachts die Bereitschaft, Flüchtlinge links liegen zu lassen, sehr viel größer: „Da kriegt die Besatzung nichts mit.“ Ebenfalls geringer ist das Risiko, dass ein Schiffbrüchiger den Namen am Bug ausmacht und – wenn er überlebt – den Kapitän anzeigt.
Von entsprechenden Strafverfahren gegen Kapitäne weiß der Seerechtler Lagoni nichts. Er kenne nur Berichte von Schiffen, die Flüchtlinge nicht gesehen hätten: „Die Schiffe sind heute oft unterbesetzt, und viel erledigt ein Autopilot.“ Ein Glück, dass „Tampa“-Kapitän Rinnan sehen konnte. Und wollte.
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