: Zu viele Flaschen Weizenkorn
Ein 52-Jähriger steht vor Gericht, weil er im Vollrausch seine Wohnung in Brand setzte. Ein Nachbar starb
Dem Alltag mit Rauschmitteln zu entfliehen gehört zu den Gewohnheiten weiter Bevölkerungskreise. So weit dies mittels Alkohols geschieht, ist diese Konvention weitgehend gesellschaftlich akzeptiert. Trotzdem gibt es vor Gericht den Straftatbestand des Vollrauschs. Er tritt in Kraft, wenn durch die Trunkenheit andere Personen zu Schaden kommen. Im Fall des 52-jährigen Sozialhilfeempfängers Heinz A., der gestern vor dem Landgericht verhandelt wurde, muss sich der Beschuldigte für den Tod seines Nachbarn verantworten.
In der Nacht zum 2. Mai dieses Jahres soll sich Heinz A. in seiner Wohnung in der Knaackstraße in Prenzlauer Berg durch Schnapstrinken bewusst in den Zustand der Schuldunfähigkeit versetzt haben, heißt es in der Anklage.
Betrunken soll Heinz A. eine Tischdecke über eine Kleiderschranktür gehängt und diese mit einem Feuerzeug entzündet haben. Die Flammen breiteten sich rasch in der ganzen Wohnung aus, griffen auf Fußboden, Zimmerwände und Deckenverkleidung über. Auch die darüber liegende Wohnung fing Feuer. Der dort wohnende 29-jährige Mieter Peer K. erstickte an einer Rauchvergiftung.
Der Angeklagte Heinz K. bemühte sich gestern im Gerichtsaal, einen aufrichtigen Eindruck zu vermitteln. Er sprang auf, sobald der Richter ihn ansprach, und entschuldigte sich, wenn er sich wegen seiner Aussagen unsicher war.
Bezüglich der verhängnisvollen Nacht berief sich Heinz A. indes auf Erinnerungslücken. In seinem Kopf stürzten die Tage ineinander, die Ereignisse fielen zu einem diffusen Nichts zusammen. Er habe den gesamten 1. Mai mit seiner Freundin viele Flaschen Weizenkorn getrunken, gab er zu. Dass er die gelbe Tischdecke angezündet habe, könne er sich nicht denken.
Neben seiner jahrelangen Alkoholsucht scheint Heinz A. bisweilen auch unter Wahnvorstellungen zu leiden. Im vergangenen Februar hatte er die Polizei alarmiert, weil er seine Freundin zerstückelt auf dem Sofa meinte liegen zu sehen. Die Beamten fanden damals jedoch nichts. An einem anderen Tag habe sein Fernseher „geknurrt“ und ein Affe sei auf der Couch umhergesprungen, erzählte Heinz A. gestern. In der besagten Nacht im Mai will er deutlich zwei Männer im Kleiderschrank erkannt haben.
Seine Freundin, die Zeugin Manuela L., sagte dagegen aus, Heinz A. sei ein sehr eifersüchtiger Mann. Angetrieben von Hirngespinsten, Trunkenheit und Verwirrung, habe er wohl das Feuer gelegt. Die beiden hätten sich vorher gestritten, berichtete sie.
Während der Verhandlung saß die Mutter des verstorbenen Peer K. still auf der Bank der Nebenanklage und weinte, die Unbeholfenheit des Angeklagten linderte ihren Schmerz nicht. Ihr Sohn war ein ruhiger, an Literatur interessierter Mensch, heißt es. Kurz vor dem Unglück hatte er sich vorgenommen, aus dem Haus in der Knaackstraße auszuziehen. Die ständigen Störungen durch seinen betrunkenen Nachbarn Heinz A. hatte er nicht mehr ertragen wollen.
Der Prozess wird am Freitag fortgesetzt. Wenn Heinz A. die Höchststrafe bekommt, erwarten ihn fünf Jahre Gefängnis, sagte der Staatsanwalt gestern.
KIRSTEN KÜPPERS
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