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Wenn der Freier ein Fahnder ist

■ ... hat die Prostituierte Pech gehabt. Ein Drogenschicksal in 25 Minuten

Was für ein Gefühl ist das wohl, einem Fremden Sex gegen Geld anzubieten, abgewiesen zu werden, am gleichen Abend noch einmal mit demselben Mann zu verhandeln, wieder erfolglos, um dann festzustellen, dass der vermeintliche Freier ein Polizist in Zivil gewesen ist? Erniedrigung, Angst, Ärger? Resignation?

Amtsgericht, Zimmer 220. Yvonne B., seit sieben Jahren heroinabhängig, ist wegen Ausübung der verbotenen Prostitution angeklagt. Eineinhalb oder zwei Jahre ist die 22-Jährige nach eigener Aussage anschaffen gegangen, im Frühjahr geriet sie in der Humboldtstraße an einen Zivilfahnder. Die Staatsanwältin wirft ihr konkret vor, im Frühjahr in fünf Fällen „sexuelle Handlungen gegen Entgelt“ angeboten zu haben. Und das ist in der Humboldtstraße, dem in den 90er Jahren offiziell zerschlagenen Drogenstrich, illegal. Zur Taktik der Zivilbeamten will sich der zuständige Polizeisprecher nicht näher äußern.

Fest steht: Prostituierte gibt es in der Humboldtstraße immer noch, 20 bis 30 vielleicht insgesamt, nur dass die Arbeit der Bremer Organisation „akzept“ zufolge gefährlicher geworden ist – die Frauen sind vereinzelter als früher unterwegs und steigen aus Angst vor der Polizei schneller – und damit unvorsichtiger – in die Autos der Freier. Kostenpunkt: 50 Mark.

„Das tägliche Elend“, sagt Richter Ulrich Hoffmann, ein Mann mit routiniertem Verständnis für die Nöte der Junkies. Er wundert sich, dass Yvonne B., die er schon einmal in Abwesenheit wegen Prostitution verurteilt hat, überhaupt erschienen ist. Jetzt sitzt sie da mit ihrer blonden Löwenmähne, allein, und nickt dürr zu den Vorwürfen. Warum sie als 15-Jährige ohne Schulabschluss – der Papa Selbstständiger, die Mama an der Uni – am Steintor auf die Nadel gekommen ist, weiß sie nicht mehr zu sagen, nur, dass sie bereits vorher synthetische Drogen genommen hat, Kokain dazu und Haschisch zur Beruhigung.

Mehrere Therapien und Entzugsversuche schlugen fehl; als Yvonne B. nach einer längeren Haft wegen Beschaffungskriminalität entlassen wurde, war sie vier Wochen clean, „dann ging es wieder los.“ Jetzt scheint die junge Frau – Jeansjacke, hautenge Hose, schmales Gesicht – wieder etwas Hoffnung geschöpft zu haben: Seit vier Wochen bekomme sie täglich Me-thadon; Heroin rauche sie nur noch sporadisch. Zum Spritzen seien ihre Venen zu kaputt. Zur Zeit putzt die Abhängige in einer Bremer Kirchengemeinde, macht alles, was anfällt. So arbeitet sie ihre letzte Geldstrafe ab.

Nach dem geschäftsmäßigen Dialog zwischen Richter und Angeklagter verzichtet Yvonne B. auf eine Verteidigungsrede. „Bin schuldig“, nuschelt sie. Richter Hoffmann lässt ins Protokoll aufnehmen, dass die Angeklagte eine milde Strafe wünsche, „einverstanden?“ Er verurteilt sie zu 1.350 Mark Geldstrafe auf Bewährung, außerdem zu 80 Stunden gemeinnütziger Arbeit.

„Kann ich mich darauf verlassen, dass sie da nicht mehr hingehen und sich prostituieren?“ Es klingt treuherzig, was der Richter der Verurteilten mitgibt. Hoffentlich hielten ihre guten Vorsätze, sagt Hoffmann, „das ist die einzige Chance, um zu überleben.“ Nach 25 Minuten ist der Prozess zu Ende. „Tschüss“, sagt Yvonne. hase

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