: „Schläge, Erniedrigungen, Heil Hitler“
■ Die drei Bremer Genua-Demonstranten sind frei. Sie erzählen vom psychischen und physischen Druck in der Haft, vom Stiefellecken und davon, dass sie Italien immer noch mögen
Am Sonntagabend sind die drei Bremer G8-Demonstranten, die sechs Wochen in Genua in Haft waren, überraschend freigelassen worden. Wir sprachen mit Anna Meyer (27) und Sabine Schulz (31).
taz: Wie habt ihr erfahren, dass ihr frei kommt?
Anna Meyer /Sabine Schulz: Eine Schließerin hat gesagt: Alle mal herhören, ihr habt 20 Minuten Zeit, eure Sachen zu packen, ihr seid frei.
Wie viele Frauen waren da?
Wir sind zu siebt in dieses Gefängnis gekommen.
Und warum seid ihr nun freigelassen worden?
Wir hatten zwei Haftprüfungstermine, bei beiden sind wir nicht rausgekommen. Dann gab es eine staatsanwaltschaftliche Befragung, in der wir uns zu den Indizien und zu unserem Urlaub äußerten. Danach hat die Staatsanwältin einen Bericht geschrieben und erklärt, sie würde keine Freilassung beantragen. Beim dritten Haftprüfungstermin hat dann aber der Haftrichter entschieden, dass die Indizien nicht ausreichen und dass wir ausreichend soziale Bindungen in Deutschland haben, um uns rauszulassen.
Wie war denn das, als ihr festgenommen worden ward?
Beschissen. Samstag war die große Bündnisdemonstration in Genua, am Montag waren wir 40 Kilometer abseits von Genua beim Campen von Carabinieris kontrolliert worden. Wir standen auf einem Hügel mit einer klasse Aussicht. Die haben dann Verstärkung in Zivil geholt.
Was haben sie erklärt, was los ist?
Sie haben die Autos durchsucht, wurden immer wütender, haben das Werkzeug und schwarze Kleidungsstücke auf einen Haufen geschmissen. Auf der Wache gab es Ohrfeigen. Wir sind dann ins Krankenhaus gebracht worden, wo wir auf Verletzungen untersucht wurden.
Warum das?
Oft wurden Leute festgenommen, die Verletzungen hatten, weil diese Verletzungen als Indiz für die Teilnahme an Demos galten. Nach dem Krankenhausbesuch sind wir auf eine andere Wache gebracht worden, da wurde richtig psychischer Druck ausgeübt. Wir waren die ganzen Zeit in Handschellen, hatten nichts zu trinken, nichts zu essen. Wir sind angeschrieen, gewürgt, getreten, mit Schlagstöcken geschlagen worden.
Auf der Wache?
Ja. Sie haben die Fenster zugemacht und gesagt, wir sollen nicht schreien, wenn wir geschlagen werden. Die haben alle Psychoterror-Mittel benutzt, um uns fertig zu machen. Und dann haben sie uns aufgefordert, Geständnisse abzuliefern und gleichzeitig einen von uns rausgeholt mit einer Geste, die Halsabschneiden symbolisierte. Der war dann eine Stunde weg. Das war ganz schlimm, wir haben alles für möglich gehalten nach der erfahrenen Gewalt. Wir wussten nicht, was mit ihm passierte. Außerdem gab es Androhungen sexueller Gewalt. Danach sind die sieben Frauen in das Frauengefängnis gebracht worden, da hörte für uns die psychische und physische Gewalt auf.
Die Stimmung war wohl ganz schön aufgeheizt?
In Italien wird eine Repressionswelle erwartet. Uns hat jemand gesagt, so was sei seit den 70er Jahren nicht mehr passiert. Wir waren bei der zweiten Haftprüfung in einem Raum, in dem die Gitter-Käfige standen, die bei den Mafia-Prozessen benutzt werden. In die sollten wir auch rein.
Die Jungs waren in Marassi im Gefängnis. Wie sind sie behandelt worden?
Die sind die ersten Tage geprügelt worden, das hat erst aufgehört, als die Bundestagsabgeordneten sie besucht hatten. Aber die Schließer sind dieselben geblieben. Erniedrigungen, Anschreien, Boden wischen. Schließer haben „Heil Hitler!“ gerufen, haben sie mit dem Hitler-Gruß empfangen, Worte wie „Unter Mussolini würde das alles nicht passieren“ sind gefallen. Einer hatte Geburtstag, der ist geweckt worden mit dem Stiefel im Gesicht und den Worten: Ablecken. Die Jungs haben kein Mal telefonieren dürfen. Im Vergleich dazu ging es uns gut.
Was wollt ihr jetzt machen?
Darüber haben wir uns keine Gedanken gemacht. Es war wirklich eine Überraschung, dass wir rausgekommen sind. Wir haben damit gerechnet, dass wir bis zum Prozess in Haft gehalten werden. Der Haftrichter hat gegen die Staatsanwältin entschieden.
Was wird euch denn konkret vogeworfen?
Die Paragrafen, die uns vorgeworfen wurden, sind ganz ordentlich: kriminelle Vereinigung, Zerstörung und Plünderung, darauf stehen 8 bis 15 Jahre.
Und gibt es irgendwelche Indizien?
Nein. Schwarze Kleidung. Autowerkzeug. Unsere italienischen Anwälte haben uns gesagt, dass sie schon Urteile mit weniger Indizien erlebt haben. Die Staatsanwältin war ein hohes Tier, sie hatte lange in Sizilien gearbeitet gegen die Mafia. Sie hat zum Beispiel behauptet, die Mundstücke von den Drehzigaretten wären dafür da, Molotow-Cocktails zu bauen. Wir haben aber nie genau erklärt bekommen, wie das gehen soll.
Und jetzt sagt ihr: Nie wieder Italien?
Nächste Woche müssen wir da nicht wieder gleich hin. Aber die Sprache ist sehr schön, und Genua ist eigentlich auch eine schöne Stadt. Fragen: Klaus Wolschner
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen