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Die Probe aufs Exempel

Nach langer Zeit der sportlichen Depression hofft Thomas Haas, endlich doch noch den großen Durchbruch schaffen zu können. Bei den US Open steht ihm dabei zunächst Lleyton Hewitt im Weg

aus New York DORIS HENKEL

Das Feld hat sich gelichtet; in den Gängen geht es nicht mehr zu wie in einem orientalischen Bazar. Der größte Unterschied zwischen der ersten und der zweiten Woche eines Grand-Slam-Turniers, sagt der deutsche Tennisprofi Tommy Haas, sei in den Kabinen zu erkennen: „Da sieht man immer weniger Spieler, und da ist auch nicht mehr so viel Gerempel.“ Nach seinem souveränen Sieg am Sonntag gegen den Tschechen Jiri Novak ist Haas zum dritten Mal in seiner Karriere in der besagten zweiten Woche noch dabei, darauf hat er lange warten müssen.

Er sagt, es gehe ihm gut, und genauso spielt er auch. Was zum einen damit zu tun hat, dass er sich nach dem Tiefpunkt dieses Jahres, dem Aus in der ersten Runde von Wimbledon, im Sommer dorthin zurückgezogen hat, wo er sich sicher und gut aufgehoben fühlt. Drei Wochen in Bradenton/Florida in Nick Bollettieris Tennis-Academy haben ihn nach der enttäuschenden ersten Jahreshälfte zur Ruhe kommen lassen. Haas sagt, die Akademie sei so etwas wie seine zweite Heimat, er könne dort jedem vertrauen; das ist nicht weiter verwunderlich, denn schließlich hat er schon als Teenager dort gelebt und trainiert.

In Bradenton fasste er auch den Entschluss, es noch mal mit David „Red“ Ayme als Coach zu versuchen. Im vergangenen Jahr hatte er sich nach reichlich Hin und Her von Bollettieris Angestelltem Ayme getrennt, dessen Nachfolger wurden in raschem Wechsel die Herren Ordonez, Hopper, Solomon und Groeneveld. „Sehr nette Leute“, sagt Haas, „aber irgendwie hat das alles nicht gepasst.“ Es kostete ihn Überwindung, Ayme noch einmal zu fragen, doch der hat es ihm nicht schwer gemacht und schlug gleich wieder ein.

Und nachdem nun auf diese Art endlich Ruhe eingekehrt ist, spielt Haas auch wieder besser, seiner eigenen Einschätzung nach in den vergangenen fünf bis sechs Wochen so konstant gut wie selten zuvor. Den unbezahlbaren Kick fürs Selbstbewusstsein holte er sich mit den Sieg gegen Pete Sampras beim Turnier in Long Island am Wochenende vor dem Beginn der US Open. Jetzt, da alles übersichtlicher ist vor den Kleiderschränken und im Turnier, folgt die Probe aufs Exempel – der Test auf Stabilität und Belastbarkeit der Form.

Im heutigen Achtelfinale gegen Lleyton Hewitt wird mit Halbheiten nichts zu holen sein, und eben diese Aussicht reizt Tommy Haas. Die aggressive Art des Australiers auf dem Platz ist nicht jedermanns Sache, doch Haas sagt, gerade das gefalle ihm. „Das stört mich nicht, wenn er ‚come on‘ brüllt; ich find’s gut, wenn einer so spielt.“

Offensichtlich steht er mit dieser Einschätzung doch nicht allein. Obwohl Hewitt in den New Yorker Blättern zur Schnecke gemacht wurde nach seinem viel diskutierten Auftritt gegen den Amerikaner James Blake, bei dem er rassistische Äußerungen gegen einen schwarzen Linienrichter schmetterte, empfingen ihn die Zuschauer am Sonntag durchaus nicht wie einen Feind. Und mit seinem engagierten Spiel gegen Albert Portas aus Spanien zog er sie bald auf seine Seite. Hewitts Sieg in drei Sätzen war ebenso klar und überzeugend wie jener von Haas, und der braucht sich gewiss keine Hoffnungen zu machen, sein Gegner sei nach dem Theater der letzten Tage irgendwie geschwächt.

Dass ihn die ganze Geschichte nicht kalt gelassen hat, gibt Hewitt dennoch zu; abseits des Tennisplatzes ist er ein introvertierter, fast schüchtern wirkender junger Mann mit keineswegs unangenehmen Umgangsformen. Zu denen gehört es offensichtlich auch, Gutes über den Gegner zu sagen. „Ich denke, Tommy gehört in die Top Ten. Er hat ein komplettes Spiel, ist auf jedem Belag gut, ist stark an der Grundlinie und kann auch nach vorn kommen.“

Zurzeit steht Haas sowohl im Champions Race als auch in der alten Weltrangliste auf Platz 15; vor ziemlich genau zwei Jahren war er schon mal die Nummer zehn. Im Januar 99 hatte er bei den Australian Open überraschend das Halbfinale erreicht, später hatte er in Memphis seinen ersten ATP-Titel gewonnen, in New York war er bis ins Achtelfinale gekommen. Viele meinten, so werde es weitergehen. „Ich dachte damals, das wäre sein Durchbruch“, sagt Hewitt, „warum es dann nicht geklappt hat, weiß ich nicht.“ Da geht es ihm nicht viel anders als Thomas Haas, aber noch gibt es Hoffnung auf Besserung. Die gibt es schließlich immer.

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