: Straßburg: Aufschub der EU-Erweiterung verhindern
Europaparlament debattiert Alternativen zum Vertrag von Nizza. Auch das südtschechische AKW Temelín steht erneut auf der Agenda
BRÜSSEL taz ■ Manche Probleme lösen sich durch Liegenlassen. Auf die Europapolitik allerdings scheint dies nicht zuzutreffen. Wenn sich die Abgeordneten heute in Straßburg nach zweimonatiger Sommerpause wieder mit der Erweiterung der EU befassen, wird die Sicherheitslage im AKW Temelín in Tschechien für neuen Zündstoff sorgen.
Mit nur einer Gegenstimme hatte der Auswärtige Ausschuss des Parlamentes im Juli den Tschechien-Bericht des CDU-Abgeordneten Jürgen Schröder abgesegnet. Darin wird begrüßt, dass die EU-Kommission eine erneute Sicherheitsprüfung für das Kraftwerk erreichen konnte. Die Kommission wird aufgefordert, im Fall einer Schließung des Reaktors finanzielle Ausgleichszahlungen für Tschechien zu prüfen.
Gestern stellte Elmar Brok, der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, gegenüber der taz diese Einigung wieder in Frage: „Man sollte von den Beitrittskandidaten nicht mehr verlangen als von sich selbst – wenn die Forderung der Grünen für Temelín EU-Standard würde, müssten wir alle AKWs in der EU dichtmachen!“
Neben den Erweiterungsberichten steht heute ein Entschließungsantrag zur Debatte, für den Elmar Brok verantwortlich zeichnet. Brok, einer der Hauptkritiker der Ergebnisse des EU-Gipfels von Nizza, sieht im gescheiterten irischen Nizza-Referendum die Chance,den Vertragsentwurf auf den Müllhaufen der Geschichte zu befördern. Sein Antrag fordert, „dass nach dem irischen Nein zu dem Vertrag von Nizza sicherheitshalber alternative Optionen entwickelt werden müssen“. So könne zum Beispiel auch in den Beitrittsverträgen geregelt werden, wie viele Stimmen jedes Land im Europaparlament bekommt.
Keinesfalls will das Parlament zulassen, dass Rat und Kommission den Streit über den Nizza-Vertrag zum Vorwand nehmen, um den Erweiterungsprozess zu verzögern. Die Debatte heute und die Abstimmung morgen hält Brok für eine gute Voraussetzung: „Wenn wir die gleiche breite Mehrheit bekommen wie im Ausschuss, ist das ein gutes Druckinstrument gegenüber Rat und Kommission, um weitere Verzögerungsversuche zu verhindern.“ Seine Ausschusskollegin, die grüne Abgeordnete Elisabeth Schroedter, ergänzt: „Sollten die Beitritte weiter verschoben werden, sehe ich auch Gefahren für die Arbeitnehmer in den alten EU-Ländern. Weitere zwei Jahre Umwelt- und Sozialdumping könnten dazu führen, dass noch mehr Unternehmen in Nachbarländer verlagert werden, wo der EU-Sozial- und Umweltstandard nicht gilt.“
An den Europawahlen 2004 sollen die neuen EU-Bürger teilnehmen – darüber gibt es breiten Konsens im EP, obwohl viele derzeitige Abgeordnete ihr Mandat verlieren werden, wenn die Sitze zwischen alten und neuen Ländern neu aufgeteilt werden. Um diesen Zeitplan zu erfüllen, müssen die Erweiterungsverhandlungen Ende 2002 abgeschlossen sein. Die dafür überaus wichtige Finanzfrage allerdings lässt der vorliegende Resolutionsentwurf offen. Bis 2006 solle, wie im Rat beschlossen, nicht mehr als 1,27 Prozent des Bruttosozialprodukts der Mitgliedsstaaten für die EU ausgegeben werden.
Die Grünen werden in ihrer ergänzenden Stellungnahme deutlicher: 6,450 Millionen Euro sind in der finanziellen Planung im Jahr 2002 für neue Mitglieder vorgesehen. Da dieses Geld nicht gebraucht wird, hätten die Finanzminister es gern zurück. Die Grünen dagegen wollen es in Strukturhilfenfür die Kandidaten umlenken.
DANIELA WEINGÄRTNER
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