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Die Tierliebhaberin

Nicht die Tiere, die Menschen sind aggressiv, sagt Isolde Kauffmann. Lügner nennt die Tierschützerin Pharmaleute. Und keinem Tier würde sie etwas antun, was sie nicht auch sich selbst zufügen würde

Alle Tierschützersind Sensibelchen,die viel Liebe undVerständnis suchen

von KATJA BIGALKE

Kerzengerade steht sie hinter dem gelben Stand am Joachimstaler Platz. Eine zierliche alte Dame in weiten Hosen mit Blumenmuster, grünem Hemd und weißen Sandalen. Die 1,52 Meter große Frau gehört zum Urgestein der Berliner Tierschutzszene. Samstag für Samstag zieht sie das Leiden der Tiere zwischen 9 und 18 Uhr an den Kurfürstendamm. Schon seit 23 Jahren fährt sie mit dem roten Bus der Tierversuchsgegner Berlin und Brandenburg dort hin, verteilt Broschüren gegen Tierversuche in der Kosmetik, in der Rüstungsindustrie, in Chemikalientests und wettert gegen Pelztierfarmen und Legebatterien. Das Begleitpersonal wechselt stündlich, jährlich – Isolde Kauffmann bleibt.

„Es ist heute fast unmöglich Mitglieder zu werben“, klagt sie. „Nicht viele bleiben bei der Stange.“ Das mit dem Bei-der-Stange-Bleiben, gehört bei Kauffmann mit zur Ausbildung. Die 81-Jährige war nach dem Zweiten Weltkrieg Balletttänzerin an der Staatsoper unter den Linden: „Da kam man morgens mit kaputten Füßen und schmerzendem Rücken und konnte sich kaum bewegen, und dann ging’s los: erste, zweite, dritte Position – da gab es kein Jammern mehr“, sagt sie und zeigt wie das aussieht: plié, grand plié, grand battement, dégagé. Sie ist geschult für den Tagesaufstand. Zwei jüngere Frauen vom Stand kommen vorbei, melden sich bei Kauffmann ab: zum Kaffeetrinken. Sie blickt ihnen hinterher, fühlt sich sichtlich geschmeichelt in ihrer Tierschutzstand-Autorität. Dann ist sie wieder in der alten Zeit. Damals kam das nämlich auch mit dem Engagement für Tiere.

„Lankwitz lag am Boden“, erzählt sie „keiner hatte etwas zu Essen und am wenigsten die streunenden Hunde und Katzen.“ Ihrer hat sich Kauffmann angenommen. Wenn sie von der ihr zugelaufenen Hündin – „einem afrikanischen Nackthund, den alle ganz furchtbar hässlich fanden“ – erzählt, wird sie ganz sentimental. „Ein außergewöhnlicher Hund“, meint sie. Sie, ihr Mann und der Hund bildeten damals so etwas wie eine Familie. „Irgendwo sind wohl alle Tierschützer Sensibelchen, die sehr viel Liebe und Verständnis suchen.“ Aber sie versuche das auszuhalten, sagt sie.

An diesem Tag ist eine Experimentatorin von der Pharmaindustrie am Stand vorbeigekommen und hat Kauffmann einen Herzinfarkt gewünscht, „wegen meiner tierversuchsfeindlichen Haltung. Da muss ich mich schon sehr zusammenreißen, um nicht loszuschreien, bei einer so persönlichen Anfeindung.“

Ein treudoof dreinblickender Plastik-Cockerspaniel mit Spendenschlitz im Kopf sitzt vor dem Tierversuchsgegnerstand. Sitzt da wie der Bote der Aktivisten. Ein rührendes frontenüberschreitendes Motiv der Unschuld für ein verantwortungsvolleres Umgehen mit den Tieren und so auch mit dem Menschen. „Die Pharmaindustrie lügt. Tierversuche sind nicht auf den Menschen übertragbar“, erklärt Kauffmann den Ansatz. „Die Ursachen menschlicher Krankheiten sind vielfältig und können in Tierversuchen nicht nachgeahmt werden“, rezitiert sie aus den am Stand ausliegenden Broschüren. „Tiere als Messinstrumente zu missbrauchen wiederspricht jedem ethischen Grundsatz.“ Das Fazit liegt nahe: Füge niemanden etwas zu, was du dir nicht auch selbst zufügen würdest – auch nicht den Tieren, dann ist die Welt in Ordnung.

Kauffmann gerät fast ins Schwärmen, wenn sie von Alternativmethoden spricht. „Da gibt es künstliche Haut und Biosimulatoren und . . .“ Das war es auch schon. Auf die empirische Vorgeschichte alternativer Versuchsmethoden geht sie nicht ein. Auch nicht darauf, dass in der Grundlagenforschung die Modelle noch gar nicht existieren. Sie will aber wissen, dass die meisten Versuche sowieso nicht zur Erhaltung des Menschens gemacht werden und findet das ein unschlagbares Argument gegen Tierversuche jeglicher Art.

Genauso unethisch wie die Tierversuche findet Isolde Kauffmann auch die neue Maulkorbverordnung für Kampfhunde. Das Argument ist bekannt. Nicht das Tier sei aggressiv, sondern der Mensch habe den Kampfhund zum Kampfhund gemacht. Deswegen nimmt Kauffmann auch an den seit einem Jahr stattfindenden Kampfhundebesitzerdemonstrationen teil und fordert „Maulkörbe für die Politiker“. Sie veranstaltet auch die Weihnachtsmahnwachen vor dem Berliner Dom – „für die Tiere, die zu Weihnachten leiden“ – und steht regelmäßig vor dem Zoo um dort gegen die Gefangenschaft der Tiere zu protestieren. Besonders gut hat ihr die Dramaturgiearbeit an einem Agitationsstück gefallen, das auf dem Alexanderplatz aufgeführt wurde. Da haben sich die Aktivisten als Affen, Katzen und Hunde verkleidet und Experimentatoren den Prozess gemacht.

Das Tierschutzengagement nimmt und nahm schon immer Kauffmanns gesamte Zeit in Anspruch. „Zum Leidwesen meines Mannes“, bemerkt sie. Der hat sie vor 35 Jahren verlassen. „Ich kann es ihm nicht verdenken“, kommentiert sie trocken dessen Entscheidung. Damals wohnten die beiden mit 20 Katzen und zehn Hunden in Rio. Ihre verbleibende Freizeit verbrachte Kauffmann im Tierheim, wo sie half, an die 3.000 herrenlose Vierbeiner zu betreuen. Aber wegen einer privaten Sache aufhören? „Niemals, ich kann doch nicht ein Lebensbedürfnis wegschmeißen.“ Kauffmann findet es auch nicht versnobt, sich in einer Stadt wie Rio, die von Straßenkindern nur so wimmelt, für streunende Katzen und Hunde einzusetzen. „Sie sind dort die Ärmsten der Armen. Leute, die mir vorwerfen, anstatt mich um Tiere zu kümmern, solle ich mich den Menschen widmen, kümmern sich meistens um gar nichts.“

Für alles hat Kauffmann eine Rechtfertigung. Lippenstift und Wimperntusche: Ja, „benutze ich, aber nur tierversuchsfreie Kosmetika“. Schuhe aus Leder: Ja, „weil ich bei einer Schuhgröße von 35 nichts anderes finde“. Tierische Lebensmittel: „Ja schon. Weil ich auf Milchpudding nicht verzichten kann.“ Das ist ihr ein bisschen peinlich. „Aber ich ernähre mich vegetarisch“, wirft sie dann ein.

Vielleicht ist der Tierschutz zu ihrem „Lebenselexir“ geworden, weil sie hier zumindest die private Anerkennung „als Stütze des Tierschutzvereins“ bekommt. An ein Erfolgserlebnis kann sie sich nicht erinnern. Im Gegenteil: Nach der Wende sei alles schlimmer geworden, sagt sie und weist auf den Kurfürstendamm. „Die Leute sind nur noch an der Spaßgesellschaft interessiert. Fußball, RTL und Love Parade.“ Kauffmann wackelt mit den Hüften. Früher seien viel mehr Leute gekommen, auch die Medien hätten sich mehr für Tierschutz interessiert.

Heute wird ihr Verein nicht einmal mehr von dem benachbarten „Pelze Lösche“ wahrgenommen. In dem von Kauffmann als „Feind“ bezeichneten Laden weiß man gar nicht, dass 30 Meter weiter die Tierschützer stehen. „Früher standen hier die von Animal Peace mit Plakaten vor der Tür und haben die Kundschaft geärgert. Aber die haben wohl die Lust verloren“, sagt Geschäftsführer Günther Heinelt und blickt müde auf die Lederjacken zeitlosen Schnitts.

Isolde Kauffmann steht immer noch an der Ecke. Lächelt unermüdlich. Hält Passanten Unterschriftenlisten gegen Tierversuche unter die Nase. Um sie herum hat sich alles verändert. Das Kranzler „die alte Kiste“ sei nicht mehr da, statt dessen H&M und viele neue Cafés. Isolde Kauffmann ist wie „Pelze Lösche“ ein Relikt aus alten Zeiten. Aber Kauffmann wird nicht müde. Das einzige, was ihr Sorgen bereitet, ist der Vogel, den sie zu Hause hat. „Der wird mich wohl überleben“, sagt sie.

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