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Stadionreporter bald überflüssig

Seinen ersten großen Auftritt mit seiner Smart-Seat-Technologie hatte das Unternehmen ChoiceSeat im Januar 1998 im Qualcom-Stadion von San Diego, als dort die 32. Super Bowl, das Endspiel um die amerikanische Footballmeisterschaft, ausgespielt wurde. Im Jahr zuvor hatte man die Technologie bei den Baseballpartien der San Diego Padres getestet.

Der endgültige Durchbruch gelang der Firma, an der der Softwareriese Intel eine Minderheitsbeteiligung hält, im Februar dieses Jahres, als das Unternehmen einen Fünfjahresvertrag mit der National Football League (NFL) unterzeichnete. Es war der erste Deal dieser Art.

In den Arenen seiner Geschäftspartner ist ChoiceSeat unterschiedlich stark präsent. Das Fleet Center in Boston, wo die Bruins Eishockey und die Celtics Basketball spielen, hat zweihundert interaktive Minicomputer angeschafft – und dafür zwei Millionen Dollar investiert.

Der Madison Square Garden in New York, wo die Rangers Eishockey spielen sowie die Knicks und Liberty Männer- beziehungsweise Frauenbasketball, verfügt dagegen über sechshundert Touchscreens – wobei theoretisch sämtliche 25.000 Plätze mit ihnen ausgestattet werden können.

In der Regel können derzeit nur die Zuschauer auf den sehr teuren Plätzen Smart Seat nutzen, in einigen Arenen sind ChoiceSeat-Terminals aber auch über das gesamte Gebäude verteilt. Diese erinnern an jene halbwegs interaktiven Geräte in Bahnhöfen oder Flughäfen. In deutsche Fußballstadien werden Computer nach dem Vorbild von ChoiceSeat vermutlich erst in der zweiten Hälfte dieses Jahrzehnts Einzug halten.

Bewegte Bilder auf Bildschirmen gehören aber auch hier längst zum Alltag: Seit der Bundesligasaison 1997/98 laufen auf den Videowänden in den Arenen Sendungen, die freie Produktionsfirmen im Auftrag der Vereine extra fürs Stadion zusammenstellen. Die Beiträge sollen dafür sorgen, dass die Fans möglichst früh ins Stadion kommen – und entsprechend mehr Geld für die dort beworbenen Produkte ausgeben.

Der früheste Vorläufer von Smart Seat ist, streng genommen, das tragbare Radio. Wer kennt sie nicht, die Fans, die ein Spiel im Stadion mit Kopfhörer im Ohr verfolgen (vor allem die öffentlich-rechtlichen Schaltkonferenzen) und dann bruchstückhaft Informationen über andere wichtige Begegnungen in die Runde werfen? Sie gibt es immer noch – trotz SMS.

Der Fan der Zukunft wird immer mehr Züge des Journalisten annehmen – die professionellen Berichterstatter waren ja bisher die einzigen Stadionbesucher, die Daten, wie sie Smart Seat liefert, benötigten. Wenn der normale Zuschauer sich im Stadion alsbald all die Informationen besorgen kann, die früher nur Reportern rasch erhielten, werden Letztere langsam überflüssig.

Das deutet sich jetzt schon an: Bild am Sonntag und Welt am Sonntag wickeln ihre Berichterstattung von Bundesligaspielen im Wesentlichen von den Redaktionbüros aus ab, weil die Kollegen dank Premiere World vermeintlich mehr sehen als der Mann (seltener: die Frau) vor Ort. Der hat nur noch eine wichtige Aufgabe: Spielernoten vergeben. RENÉ MARTENS

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