piwik no script img

yeah! yeah! yeah!Wandernde Enthusiasten (9): Hausarbeit

Lob des Fensterputzens

Ursprünglich sollte an dieser Stelle ein Lob des Müßiggangs stehen. Bertrand Russell hat dazu ein ganzes Buch verfasst, was meine Arbeit sicher erleichtert hätte. Doch dann fiel mein Blick auf das Fenster – und weiter kam er auch nicht. Womit wir beim Thema wären.

Menschen am Sonntag frönen selten dem reinen Müßiggang. Meist nutzen sie den Tag, um Dinge zu erledigen, zu denen sie unter der Woche nicht kommen. Doch nur wenige dieser Dinge stimmen so euphorisch wie Fensterputzen. Denn Fensterputzen macht glücklich. Acht Gründe zum Beweis:

(I) Fensterputzen entspannt. Erst die Hand mit dem Schwamm ins warme Wasser tunken, dann Stück für Stück die Scheiben waschen und mit dem Wischer drüberfahren. Anschließend Glasreiniger aufsprühen und mit einem fusselfreien Tuch trocken wischen – das ist eine körperlich anspruchsvolle Tätigkeit, deren stupende Monotonie einen bald in eine Art Trance-Zustand versetzt. Das ist das Tao der Hausarbeit. (II) Von allen monotonen Hausarbeiten mit ähnlicher Wirkung ist Fensterputzen aber die schönste. Es ist erhebender als Geschirrspülen, Staubsaugen oder Bügeln, weil man es viel seltener macht. Dadurch behält es den Reiz des Besonderen und bietet willkommene Abwechslung zum Alltag. Es ist auch viel besser als etwa Steuererklärungen abzufassen, weil man den Kopf dabei weitgehend abschalten kann. (III) Dennoch erfordert Fensterputzen, wie Yoga und andere systematische Entspannungstechniken, ein hohes Maß an Konzentration. Denn so harmlos, wie es aussieht, ist es nicht, man muss einiges beachten: nicht von der Leiter fallen. Nicht aus dem Fenster fallen. Und nach dem Fensterputzen, wenn es ans Staubsaugen geht, nicht mit den nassen Fingern an die Steckdose kommen. Denn: Die meisten Unfälle passieren bekanntlich zu Hause.

(IV) Fensterputzen hat eine reinigende Wirkung – auch im übertragenen Sinne. Es fördert Klarsicht. Durchblick. Weitsicht. Es lässt die gewohnte Welt in völlig neuem Licht erstrahlen. Es vermag einen urplötzlich Dinge erkennen zu lassen, die vorher wie hinter einem Schleier verdeckt schienen. Und es bringt einen wieder näher in Kontakt mit der Natur: Haben wir wirklich schon wieder Herbst?

(V) Fensterputzen verschafft unmittelbare Befriedigung. In einer weitgehend entfremdeten Arbeitswelt, in der es solche unmittelbare Gratifikation nur selten gibt, ist das besonders wichtig. (VI) Fensterputzen ist aber natürlich immer auch eine gute Ausrede, wenn man gerade keine Lust hat, anderen lästigen Verpflichtungen nachzukommen. Gerade bei Schreibtischarbeitern lässt sich beobachten, dass sie zur Übersprungshandlung des Fensterputzens neigen, wenn sich vor anderen Arbeiten drücken wollen. Nie wieder war meine Wohnung so aufgeräumt und sauber wie damals, als ich an meiner Magisterarbeit geschrieben habe. Dennoch ist der Akt des Fensterputzens kein reiner Eskapismus, keine bloße Verdrängungsleistung, sondern sogar eine sinnvolle Ergänzung der Kopfarbeit. Denn (VII) Fensterputzen fördert die Kreativität: Es ist eine Schule der Kontemplation. Beim Fensterputzen kommen einem stets die besten Gedanken. Und auch wenn die meisten davon auf dem Friedhof der unrealisierten Textideen landen – das macht nichts. Denn, um es in Abwandlung eines Sterne-Zitats zu sagen: Von allen Gedanken sind mir die unveröffentlichten ohnehin die liebsten. Das bringt mich zum letzten Grund: (VIII) Fensterputzen ist Pop. Van Morrison hat darüber ein Stück geschrieben, eines seiner schönsten übrigens: „Cleaning Windows“. Es ist ein Lobgesang auf das Glück, das im Fensterputzen liegt. Überhaupt: Beim Fensterputzen kann man endlich wieder einmal alle seine Lieblings-CDs durchhören. Meine persönliche Fensterputz-Top-Five lautet: (1) Van Morrison: „Cleaning Windows“ (2) Bill Withers: „Ain’t No Sunshine“ (3) City: „Am Fenster“ (4) Leonard Cohen: „So long, Marianne“ – beginnt mit den Zeilen „Come over to the window, my darling“ (5) Rose Royce: „Car Wash“ – lässt sich übertragen.

DANIEL BAX

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen