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Mit vorurteilslosem Blick

■ Der Kreis beschreibt Frauengeschichten in Teheran: Ein Gespräch mit dem Regisseur Jafar Panahi über seine Arbeitsweise, die Bedingungen von Film im Iran und politische Aufklärung

Mit nervös-konzentrierter Kamera begleitet Der Kreis in unzusammenhängenden Episoden verschiedene Frauen, deren verängstigtes Umhereilen auf Teherans Straßen nur langsam verstehbar wird. Die Tochter der ersten hat ein Mädchen geboren, statt einen Sohn. Ihre Familie wird sie verstoßen. Drei andere Frauen sind aus dem Gefängnis entlassen. Regisseur Panahi zeigt ihre Zurückweisung an der elterlichen Haustür, den Grund der Haft lässt er ungenannt. Eine weitere Frau möchte das uneheliche Kind abtreiben. Die befreundete Arzthelferin muss ihr die Solidarität versagen. So geht es weiter in ausweglosem Zirkel – der anfängliche Blick auf die Sichtklappe eines Kreissaals endet auf den Gittern einer Kerkertür. „The Circle“ ist angelegt als Exempel, dabei beinahe dokumentarisch im Stil. Ein mit großer Disziplin zurückgehaltener Wutausbruch, der im Iran unter Aufsicht gedreht werden durfte, aber auf Jahre nicht in dortigen Kinos zu sehen sein wird.

taz hamburg: Herr Panahi, wie kommt es, dass Ihr Film Der Kreis, der im Iran nicht gezeigt werden darf, nicht bereits während seiner Entstehung verhindert wurde?

Jafar Panahi: Das Ganze war ein Prozess von drei Jahren. Die ersten Monate wurde meine Arbeit sehr erschwert. Aber die Medien haben viel über den Film geschrieben und mich dadurch unterstützt. Nach neun Monaten hatte ich endlich die Dreherlaubnis. Als der Film fertig war, dauerte es noch einmal neun Monate, bis er aus dem Land raus durfte: Drei Tage bevor die Festspiele in Venedig begannen. Auch Verantwortliche sechs anderer Festivals sind in den Iran gereist und haben sich den Film privat bei mir angesehen. Für das Filmfestival in Teheran wurde er nicht zugelassen.

Die Kameraarbeit in Der Kreis wirkt an vielen Stellen dokumentarisch. Gleichzeitig ist Ihrem Film großer Gestaltungswille anzusehen, die Bilder sind sehr grafisch, sehr komponiert. Wie hoch war der dokumentarische Anteil, wie oft haben Sie einfach auf der Straße gedreht, womöglich auch heimlich?

Ich wollte so offen wie möglich arbeiten, daher hatte ich nicht den Wunsch, dokumentarisch zu arbeiten. Am liebsten stelle ich die Kamera neben die Menschen und sehe, was sich daraus entwickeln lässt, wie ich meine Aufgabe aus Alltagsszenen heraus lösen kann. Natürlich haben wir uns vorher genau überlegt, was geschehen soll, aber wir haben kein Dekor geschaffen. Es gibt nur zwei Szenen, in denen wir Licht gesetzt haben, im Gefängnis und vor dem Hotel. Die einzigen professionellen Schauspielerinnen sind die Dame, die abtreiben will und die Mutter, die ihr Kind loswerden möchte. Alle anderen standen zum ersten Mal im Leben vor der Kamera.

Anders als ihre Kinderfilme, The White Balloon etwa, lässt Der Kreis kaum mehr etwas spüren von einer solidarischen Haltung, durch die sich die Menschen helfen gegen Armut und Unterdrückung. Gibt es ein konkretes Ereignis, das die Härte des Films veranlasst hat?

Es gibt im Denken eines Regisseurs irgendwann einen Augenblick, in dem er sich für etwas entscheidet. Es ist nicht ein äußeres Ereignis, das passieren muss. Ich habe mich gefragt, was geschieht mit diesen Kindern, wenn sie eines Tages erwachsen sind. Werden sie mit der gleichen Lebhaftigkeit und Zielstrebigkeit ihren Bedürfnissen nachgehen? Werden sie mit all der Wucht auf das bestehen, was sie sich holen wollen? Ich wollte auf diesem logischen Weg zu einer realistischen Darstellung der Erwachsenen kommen. Die anderen Filme erzählten Geschichten aus der Welt der Kinder. Die erzählerischen und darstellerischen Mittel entsprachen dieser Welt. Jetzt ist das Frauenthema für mich ein Vorwand, um gesellschaftliche Themen anzusprechen. Ich finde allerdings nicht, dass in Der Kreis die Menschen unsolidarisch sind. Es geht zum Beispiel nicht darum, dass Männer gegen Frauen sind.

Sie sagen, ihr Film zeichne ein realistisches Bild der iranischen Gesellschaft. Ausländischen Zuschauer zeigen Sie dabei unbekannte Aspekte dieser Gesellschaft. Die Schicksale der porträtierten Frauen bestürzen. Verstehen Sie Ihre Arbeit auch als Instrument politischer Aufklärung?

Nein, ich bin kein politischer Filmemacher. Damit meine ich, dass ich keiner politischen Partei angehöre. Ein politischer Filmemacher will in einer Absicht verstanden werden. Mit meinem Film möchte ich weder jemanden verteidigen, noch jemand verurteilen. Das ist ein sozialkritischer Film. Ob darin eine politische Aussage zu sehen ist, überlasse ich dem Publikum. Ein Film, der sich auf eine politische Aussage konzentriert, ist eingeschränkt. Er bezieht sich thematisch und zeitlich auf ein bestimmtes Problem. Mir geht es darum, dass dieser Film immer gesehen werden kann.

Interview: Urs Richter

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