piwik no script img

„Plötzlich ist es ganz nah“

■ AmerikanerInnen in Bremen über die Ereignisse am Dienstag

Die taz sprach mit US-AmerikanerInnen, die in Bremen leben. Wie haben sie die Ereignisse in New York und Washington hier in Bremen erlebt?

Nancy Schrauf, Lehrbeauftragte an der Universität Bremen, macht sich über mögliche Reaktionen der US-amerikanischen Regierung macht Sorgen: „Die Regierung muss sehr langsam und sachlich vorgehen. Je nachdem, wer es war: Es ist ein Pulverfass.“

John Gehrlein, ehemaliger US-amerikanischer Soldat: „Es ist wie ein Albtraum. Ich war als Kind einmal im World Trade Center und jetzt ist es einfach weg. Das ist, wie wenn jemand in Deutschland das Brandenburger Tor wegbombt, nur dass da nicht so viele Menschen sterben würden. Es ist feige, wie die das gemacht haben.“

Die Frage nach möglichen Tätern sieht er so: „Alle sagen, dass es bin Laden war. Ich bin auch der Meinung, dass bin Laden es war.“ Wie reagiert er jetzt auf Moslems? „Das kann man so nicht sagen. In einem ganzen Volk gibt es immer gute und schlechte Leute. Ich glaube, dass das eine Frage der Erziehung ist. Die sind anders erzogen als wir. Wenn man denen sagt ,Fahr mit dem Lastwagen mit Sprengstoff in das Gebäude, dann machen die das.“

Er glaubt, dass jemand das World Trade Center „weg haben will“, und verweist auf den Anschlag 1993. Es sei ein Symbol für die amerikanische Wirtschaft: „Wenn man ein Land angreifen will und greift die Wirtschaft und das Pentagon an, dann hat man zwei tiefe Treffer.“

Die Literaturwissenschaftlerin und Tai-Chi-Lehrerin Leslie Strickland berichtet, sie habe durch einen Anruf von einem Freund von den Attentaten erfahren. Von da an habe sie vor dem Fernseher gesessen, fassungslos, benommen und berührt. „Die Trauer ist da, aber sie wird tiefer im Laufe der Zeit“, sagt sie. „Ich habe lange selbst in New York gelebt, ein großer Teil meiner Familie lebt dort. Spät in der Nacht habe ich von einer Nichte erfahren, dass alle wohlbehalten sind.“ Auf die Täterfrage reagiert auch sie mit Vorsicht: „Es können so viele Gruppierungen gewesen sein.“ Das weitere Vorgehen der USA? „Das Schlimmste könnte ein Vergel-tungsakt sein. Ich glaube, Gewalt ist nie eine Lösung.“ Sie argumentiert, dass auch Unschuldige getroffen werden könnten. Statt dessen müssten die USA und alle Länder der Erde begreifen, welches die Ursachen für so einen Anschlag sind. „Gewalt fängt schon da an, wo man anderen nicht zuhört: ihre Bedürfnisse, ihr Leiden, ihre Werte.“ Diese unterschiedlichen Bedürfnisse müssten weltweit anerkannt werden. Sonst könne das Nicht-Zuhören zur Gewalteskalation führen.

Wenn die Schuldigen dieser schrecklichen Tat ermittelt seien, will Strickland sie vor einem Gericht sehen. Sie selbst begegnet Moslems auch weiter mit großer Offenheit, hat aber „für Fundamentalismen jeder Art keine Unterstützung“. Wichtig sei, dass nicht nur die westliche Welt, sondern auch die islamischen Länder sähen, dass so ein Anschlag nicht in Ordnung sei.

Elizabeth Reik, Lehrbeauftragte an der Universität Bremen, kämpft zunächst am Telefon mit den Tränen: „Es ist unvorstellbar. Meine Eltern leben nahe dem Pentagon. Heute Nacht um zwei habe ich endlich eine Verbindung bekommen: Es geht ihnen gut, aber wir kennen Leute, die im Pentagon gearbeitet haben. Ich hatte auch große Angst um meinen Bruder, er arbeitet in der Nähe des Weißen Hauses, aber er lebt. Man hat das Gefühl, man würde gerne etwas machen, aber man ist so weit weg.“ – Die Täter, bin Laden? – „Man kann schnell glauben, dass es diese Gruppe war, aber das haben wir bei dem Täter von Oklahoma auch gedacht.“

Über ihre Empfindungen sagt sie: Wenn so etwas geschieht, ist die Zeit zum Sprechen vielleicht vorbei. Vielleicht ist es Zeit für Krieg. Ich weiß es nicht. Es ist wie bei Pearl Harbour, etwas stirbt innerlich.“ Sie glaubt jedoch nicht, dass die Vereinigten Staaten militärisch reagieren werden. „Vielleicht müssten die USA gegen Länder, die Terroristen Unterschlupf gewähren, strenger sein.“ Zuerst müsse man sich aber um die Verletzten und die betroffenen Familien kümmern.

Die Mentalität von Selbstmordattentätern verstehe sie nicht. Sie hoffe, dass nur ein kleiner Teil der Welt diese Mentaltät teile. Zum Terrorismus sagt sie: „Wir sehen dass immer im Fernsehen und es scheint so weit weg. Und plötzlich ist es ganz nah. Aber ob großer oder kleiner Terrorismus, die Gefühle der Menschen sind die gleichen. Ich glaube, sowas wird immer passieren.“

Schließlich stellt sie fest, dass es gut gewesen sei, dass Arafat sofort gesagt habe, so etwas gehe nicht. Und zur Prävention meint sie: „Vielleicht sollten wir Amerikaner uns wieder mehr für Politik interessieren.“

Ulrike Bendrat

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen