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Aufrufe zur Ruhe

In der arabisch-islamischen Welt sind Freudenkundgebungen nach den Anschlägen die Ausnahme

von BEATE SEEL

Mit unverhohlener Freude haben die offiziellen Medien im Irak auf die Anschläge in den USA reagiert. Als das Fernsehen die einstürzenden Türme des World Trade Centers zeigte, wurden die Bilder mit einem Lied unterlegt, dessen erste Zeile „Nieder mit Amerika“ lautet. Die Angriffe wurden als „Operation des Jahrhunderts“ gefeiert, die eine Quittung für die von den USA verübten „Verbrechen gegen die Menschheit“ sei, hieß es in einem Kommentar. Die Zeitung Al Irak schrieb unter dem Titel „Amerika brennt“, dass die Anschläge „eine Lehre für Tyrannen, Unterdrücker und Kriminelle seien“. Ähnlich lauteten die Stellungnahmen der militanten palästinensischen Organisationen Hamas und Dschihad Islami, die die Anschläge als eine Konsequenz amerikanischer Politik bezeichneten.

Insgesamt jedoch bestimmten die Verurteilung der Anschläge und Mitgefühl mit den Angehörigen der Opfer die Reaktionen in der arabisch-islamischen Welt. Diese Haltung wurde auch von den Regierungen jener Staaten geteilt, denen in der Vergangenheit selbst Unterstützung des Terrorismus vorgeworfen wurde.

So rief der Iran alle Muslime zu Ruhe und Besonnenheit auf. „Kein Muslim in der Welt kann oder sollte glücklich sein über die gestrigen Ereignisse“, sagte Hassan Rowhani, Vorsitzender des Nationalen Sicherheitsrates, am Mittwoch im Fernsehen. Präsident Mohammed Chatami sprach von „tiefem Mitleid mit den Opfern“. Der libysche Revolutionsführer Muammar al-Gaddafi nannte die Anschläge „entsetzlich“ und forderte die Muslime auf, den USA Hilfe anzubieten – „ungeachtet politischer Erwägungen oder Differenzen zwischen Amerika und den Völkern der Welt“. Auch Syrien, Jordanien, Libanon, Ägypten, die Konferenz der Islamischen Staaten und PLO-Chef Jassir Arafat verurteilten die Anschläge. Doch „auf der Straße“ mischt sich manchmal klammheimliche Freude in das Entsetzen, da sich gezeigt hat, dass auch die Supermacht USA nicht unverletzlich ist.

Offene Freude über die Anschläge zeigten Gruppen junger Palästinenser in Ostjerusalem, Gaza und dem Westjordanland am Dienstagnachmittag. Hanan Aschrawi, Sprecherin der Palästinenser, spielte derartige Reaktionen in einem Interview mit dem britischen Rundfunksender BBC herunter. Die spontan Feiernden hätten die Implikationen nicht verstanden, sagte sie. Aschrawi wandte sich dagegen, „erste und minoritäre Antworten“ zu generalisieren. Sie bezeichnete die Anschläge als den „schlimmsten Terrorangriff in der Geschichte der Menschheit“ und äußerte ein „tiefes Gefühl von Trauer im Namen des palästinensischen Volkes und der arabischen Welt“.

Auch in der Türkei ist die Stimmung geprägt von tiefer Bestürzung, die allmählich in eine ängstliche Betroffenheit übergeht. Was wird passieren, wenn die Anschläge zu der oftmals prophezeiten schweren Auseinandersetzung zwischem dem Westen und der islamischen Welt führen? Der Riss ginge mitten durch die Türkei.

Das zeigt sich bereits an der Kommentierung in den unterschiedlichen Blättern. Während der Kolumnist der Zeitung Sabah, Güngör Mengis, sich um übereilte Gegenschläge der USA sorgt, macht die islamistische Akit aus ihrer Genugtuung darüber, dass die USA durch die Anschläge „entzaubert“ seien, keinen Hehl. Hürriyet, das führende Massenblatt des Landes, lässt sich dagegen die Gelegenheit nicht entgehen, über die weltweiten Doppelstandards bei der Beurteilung von Terroristen zu lamentieren.

Güngör Mengis, der Kolumnist von Sabah, bringt die Sorgen der meisten Menschen in der Türkei wohl am ehesten auf den Punkt. „Der Albtraum ist noch nicht vorbei, sondern könnte womöglich erst richtig losgehen. Die Gefahr ist, dass die USA bei der Bestrafung dieses erniedrigenden Anschlags alles noch schlimmer machen und ihrem Zorn die Gerechtigkeit opfern. Wenn dies passiert, droht die Welt unbewohnbar zu werden“.

MITARBEIT: J. GOTTSCHLICH, ISTANBUL

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