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Zwischen Angst und Trotz

In der Berliner muslimischen Gemeinde wächst nach den Anschlägen in den USA die Angst vor Vergeltungsaktionen

Der 16-jährige Palästinenser Wassim: „Jetzt werden sie uns noch mehr hassen“

von HEIKE HAARHOFF

Die Polizei hat Ali und Wassim in die Mangel genommen. „Sie kamen zu uns in die Schule. Wir mussten in andere Räume gehen, und dort haben sie mit uns Einzelgespräche geführt.“ Nur mit den ausländischen Schülern, versteht sich. „Bei den anderen“, sagt Ali, „hatten sie ja keine Angst, dass die das gut finden, was in den USA passiert ist.“ Zu ihren deutschen Mitschülern stießen Ali und Wassim und alle, die einen nichtdeutschen Pass haben und islamischer Religion sind, erst wieder, als sie den Polizeibeamten glaubhaft versicherten, dass sie „Trauer für die unschuldigen Menschen empfinden“.

Was sie darüber hinaus denken, sagen Ali und Wassim auch – aber lieber erst am Abend, als sich die beiden 16-Jährigen im Islamischen Kulturzentrum „Assalam“ in Berlin-Neukölln mit ihren Freunden zu Kraft- und Kampfsport treffen. „Natürlich“, sagt Ali, „hat man sich am Montag erst mal auch ein bisschen gefreut, dass die USA eine Lektion erteilt bekommen.“ Natürlich? „Ja, die USA sind doch nicht ganz unschuldig.“ Ruhig sagt er das, weder Jubel noch Schadenfreude in der Stimme. Als seien die Flugzeugentführungen und die tausenden von Toten die logische Konsequenz einer in seinen Augen verfehlten Politik: „Die USA sagen immer nur, dass sie Frieden wollen. Aber dann unterstützen sie Israel mit Waffen, und wer dagegen ist, kann sich nur mit Steinen wehren. Es bleiben nur wenige Möglichkeiten, den USA den Krieg zu erklären.“ Offene Worte sind das. Worte, die nicht passen wollen zu einer Nation, die mitfühlt und alles daran setzt, andere Meinungen nicht öffentlich werden zu lassen.

„Sie dürfen unsere Räume nur mit amtlicher Genehmigung betreten“, warnt der Mitarbeiter des Jugendzentrums Lessinghöhe, in dem viele arabische Jugendliche verkehren. „Und versuchen Sie nicht, mit den jungen Leuten hinter unserem Rücken zu sprechen“. Denn natürlich hat es die Häme, die Schadenfreude, all die hässlichen Gefühle am Montag gegeben. Aber muss man das jetzt wiederholen? Es wurde doch geredet mit den Jugendlichen und eine Stellwand aus dem vorigen Sommer, als kaum ein Tag ohne rassistischen Überfall verging, wieder aufgestellt. Auf der steht nun: „Wir sagen Nein zu Hass, Gewalt und Dummheit“. Unterschreiben kann man dort, und damit ist es doch wohl gut.

Für die Anschläge, sagt Ali, „kann es religiöse Gründe geben“. Im Assalam kann schließlich jeder seine Meinung sagen, „und ich jedenfalls finde die Kamikazepiloten mutig . . .“ – “Hör auf!“ Das ist Wassim, Alis Freund. Mit vier Jahren kam Ali aus dem Libanon nach Deutschland. Wassim war drei, als seine Eltern aus Palästina nach Berlin flüchteten. Die beiden kennen sich seit Jahren, sagen, dass sie sich „eher als Deutsche fühlen“. Dass Israel und die USA nicht eben zu ihren Lieblingsländern zählen, auch darüber sind sie sich einig. Aber was Ali da sagt, das ist zu viel: „Wo bitte steht im Koran, dass unschuldige Menschen getötet werden dürfen?“ – „Das mit den Menschen ist nicht in Ordnung, aber wenn es nur Militäreinrichtungen gewesen wären . . .“ - „Ali, ich habe Verwandte in den USA, die sind doch jetzt auch gefährdet!“ – „Trotzdem war es mutig.“ – „War es nicht!“ Wassim wird ungehalten. „Im Übrigen haben wir doch gar nichts damit zu tun.“ Er macht eine Pause. „Palästina scheidet nämlich als Täter aus. Die sind noch mit Israel beschäftigt.“ Und trotzdem, fürchtet Wassim, “werden sie uns hier jetzt noch mehr hassen“.

Die Angst vor Racheakten ist groß in der muslimischen Gemeinde in Berlin. Und die Sorge wächst mit jeder Stunde, in der sich der Verdacht erhärtet, dass eine radikalislamistische Organisation hinter dem Terror steckt. Die Sicherheitsvorkehrungen sind entsprechend: Bei der Islamischen Föderation sind Namen und Telefonnummern von Kontaktpersonen angeblich unauffindbar. Man weiß schließlich nicht, wer sich warum für sie interessiert. Die Deutsch-Arabische Gesellschaft hat die Ansage auf ihrem Anrufbeantworter geändert, um erst gar keinen falschen Verdacht entstehen zu lassen. Und an die Tür der Dernek-Baskani-Moschee in Neukölln hat der Imam eine Erklärung befestigt. Es kann ja nicht schaden, eindeutig Position zu beziehen. „Wir verurteilen den Terror auf das Schärfste“, übersetzt eine Mutter, die ihre Tochter in die Koranschule bringt, „dem amerikanischen Volk gehört unser Mitgefühl.“ Die Tür der Moschee bleibt demonstrativ unverschlossen. „Wir sind Türken, wir sind Freunde der Amerikaner, wir lassen uns nicht einschüchtern.“ Sie hält inne. „Aber die Stimmung kann sich schnell wenden.“

Diese Furcht gibt es auch beim Deutschsprachigen Muslimischen Kreis in Wedding. Am Mittwoch abend finden sich fünf Männer und drei Frauen zur Krisensitzung ein. „Normalerweise wäre heute nur Frauentreffen gewesen“, sagt Sigrid Klaus-Salama, „aber wir müssen jetzt beraten, wie wir mit der neuen Lage umgehen.“ Daher wurden kurzfristig auch die Männer eingeladen. Dass Ressentiments gegenüber Muslimen zunehmen dürften, darüber herrscht Einigkeit. Und Erbitterung: „Die Presse“, klagt einer, „hat sich doch sofort dem Verdacht angeschlossen, eine islamistische Organisation stecke hinter den Anschlägen.“ Unfair und voreilig sei das, sagt ein anderer – so beklagenswert der angerichtete Schaden sei. „Aber wir, die wir eine rein religiöse Organisation sind, werden damit zugleich allesamt in eine Ecke gedrängt.“ Staatliche Unterstützung könne sich der Verein nun erst mal abschreiben. „Da kann man schon einmal auf die Idee kommen“, sagt Sigrid Klaus-Salama, „dass jetzt mit Absicht alles auf den Islam gelenkt wird.“

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