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Der überforderte George W. Bush

Die US-amerikanische Bevölkerung möchte in Krisenzeiten einen Präsidenten, der entschlossen und weise auftritt. Aber kann der das?

von BERND PICKERT

Alle gucken auf ihn. Es ist noch noch nicht einmal acht Monate her, dass George W. Bush sein Amt als Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika übernahm. Nach einer Wahl, deren Ausgang von den Gerichten entschieden wurde, trat der außenpolitisch gänzlich ahnungslose damalige Gouverneur von Texas die Nachfolge Bill Clintons im Weißen Haus an. Unbedarft, aber entschlossen, die Macht zu genießen, nach Insiderberichten gänzlich desinteressiert an vielen zentralen politischen Fragen, unternahm er seine ersten Stolperschritte. Sein Hauptengagement, berichteten verstörte Mitarbeiter unter der Hand, gelte dem pünktlichen Aufbruch ins Wochenende gegen Freitag mittag. Politik und Taktik überließ er seinen Beratern, seinem Vizepräsidenten und seinen Ministern.

Und jetzt, kein Dreivierteljahr später, entscheidet er über Krieg und Frieden. Plötzlich ist kein Vizepräsident Dick Cheney mehr da, hinter dem er sich verstecken könnte. Plötzlich muss er selbst zeigen, dass er weiß, was er tut. Er selbst muss der US-Bevölkerung und der Welt erklären, wie die USA auf die Terroranschläge reagieren werden. Und er muss in der Lage sein, auf Nachfragen von Reportern zu antworten. Ohne dabei Dinge zu verwechseln, wie vor ein paar Monaten, als er zur Bekämpfung des Drogenanbaus in Südamerika vorschlug, Kakaofelder zu verbrennen.

Ausgerechnet der, ausgerechnet jetzt. George W. Bush ist nicht der erste US-Präsident, der vor einer solchen Entscheidung steht. Und doch ist der Moment einzigartig. Noch nie zuvor sind die USA einem solchen Angriff auf eigenem Boden ausgesetzt gewesen. Nie zuvor haben sich die US-AmerikanerInnen so verunsichert gefühlt, so verletzlich. Und nie seit dem Vietnamkrieg hatte ein Präsident über einen Militäreinsatz zu entscheiden, dessen Auswirkungen so schwer abzusehen sind.

Nie zuvor auch musste sich ein US-Präsident selbst so verunsichert fühlen. Wie eine kranke Rassekatze, die sich nicht noch eine Infektion einfangen soll, wurde Bush am Dienstag von seinem Sicherheitsapparat quer durchs halbe Land geflogen, weit weg von den Einschlägen der entführten Maschinen. Das Weiße Haus und die Präsidentenmaschine seien selbst Anschlagsziele der Terroristen gewesen, ließ das Weiße Haus am Mittwoch erklären. Das ist neu. Und Bush wirkte auch nicht triumphierend, als er endlich wieder im Weißen Haus eintraf. Da waren die Bilder aus Florida, wie ihm bei einem Auftritt in einer Grundschule ein Mitarbeiter die schlechte Nachricht aus New York ins Ohr flüsterte, schon durch alle Fernsehkanäle gegangen. Allein gelassen und verschüchtert blickte Bush um sich, auf der Suche nach Rat und Hilfe.

US-Präsidenten, so eine alte Faustregel, müssen sich irgendwann im Laufe ihrer ersten Amtszeit als Kriegsherren profilieren. Es passt nicht zum Bild des Obersten Befehlshabers, Hilfe zu suchen. Entschlossen und weise zugleich soll er auftreten, die eigenen Leute und die Alliierten beruhigen, Nutzen und Risiken verantwortungsbewusst abgewogen haben, und dann siegen, im Namen der „amerikanischen Werte“, möglichst ohne US-Amerikaner in Gefahr zu bringen.

Ausgerechnet der. Kann der das? Einer, der es nicht einmal geschafft hat, seine eigene Mehrheit im Senat mehr als ein halbes Jahr lang zu halten? Einer, der, obwohl knapp und umstritten auf den Präsidententhron gelangt, ohne jegliches politisches Feingefühl den konservativen Durchmarsch geprobt hat? Einer, der nicht einmal versucht zu kaschieren, dass seine Energiepolitik von seinen alten Freunden in der Ölbranche bestimmt wird? Einer, der in den ersten vier Monaten Amtszeit die von Bill Clinton begonnene Entspannung mit Nordkorea, das Verhältnis zu China, Russland und Europa in Gefahr gebracht hat?

Die außenpolitischen Katastrophen der ersten Monate hat Bushs Sicherheitsberaterin Rice so elegant ausgebügelt, dass darüber der einstige Star des Kabinetts, Außenminister Colin Powell, fast unsichtbar wurde. Jetzt geht es um Krieg – und der ehemalige Generalstabschef ist wieder da. Doch jetzt ist der Präsident persönlich gefragt. Bush weiß um die Zweifel an seinen Fähigkeiten. Es ist ihm schwerlich entgangen, dass das intellektuelle Amerika über ihn spottete, seine Versprecher und verbalen Ungeschicklichkeiten ganze Websites füllen (http://slate.msn.com/Features/bushisms/bushisms.asp). Jetzt nur keine Panne. Er weiß, dass sein Verhalten in diesen Tagen über die Zukunft seiner Präsidentschaft entscheidet und dass ihn nur seine kurze Amtszeit davor rettet, nicht dafür verantwortlich gemacht zu werden, dass die Anschläge überhaupt geschehen konnten.

Aber gerade die Gefahr, Dummheiten zu erzählen, hat Bushs Berater bisher davon abgehalten, den Präsidenten zu den Menschen zu schicken. Drei kurze Statements, ein Besuch bei den abgeriegelten Trümmern im Pentagon – das war alles, was die US-Amerikaner von Bush zu sehen bekamen. Kein Auftritt in New York. Der große Charmeur, der begnadete Kommunikator, als der Bush seit seiner Zeit als Manager des Texas-Rangers-Baseballclubs gilt, redet nicht mit den verzweifelten Menschen. Die richtigen Worte zu finden, bleibt Bürgermeister Rudolph Giuliani vorbehalten.

Haben die Bush-Berater vergessen, wie Russlands Bevölkerung auf die Abwesenheit Putins beim Untergang der Kursk reagierte? Wie wütend die Briten waren, als die Queen zum Tod Lady Dianas keine Worte fand? Der Druck auf Bush steigt. „Er sollte seine Stimme wiederfinden und aktiv und sichtbar führen, seine Gedanken und sein Vertrauen in die Zukunft mit den Menschen teilen. Die Amerikaner sind nur allzu bereit, ihn zu unterstützen“, schreibt die New York Times am Donnerstag.

Der Präsident konzentriert sich darauf, den Gegenschlag vorzubereiten. Ganz der texanische Todesstrafenfanatiker, der er immer war, glaubt er an Heilung vor allem durch Rache. Sein außenpolitisches Team hat ihn immerhin dazu genötigt, die Nato einzubinden und aus aller Welt Blankoscheine für den bevorstehenden Militärschlag einzuholen. Ein politisches Desaster wie vor drei Jahren, als der durch die Lewinsky-Affaire angeschlagene Bill Clinton ohne internationale Konsultationen vermeintliche Ziele im Sudan und in Afghanistan bombardieren ließ, soll Bush nicht passieren.

Doch ist der Aufbau einer militärischen Option allenfalls die in den Augen der US-Amerikaner notwendige, keinesfalls aber eine hinreichende Bedingung, um in dieser schwierigen Situation Führung zu zeigen. Der Kongress ist – wie jeder US-Kongress –bereit, dem Kriegsherrn Bush überparteiliche Unterstützung zu gewähren. Doch auch in der Politik lauern neue Gefahren. Bush hat bislang nicht zu erkennen gegeben, dass er über die unmittelbare Reaktion hinaus dabei wäre, sein Sicherheitskonzept zu überdenken, das analog zum High-Tech-Aufbau der CIA auf der milliardenteuren Raketenabwehr beruht. Dabei sind die Leserbriefspalten der US-Medien voll mit wütenden Fragen, wozu man Verteidigung im All brauche, wenn man nicht einmal die Inlandsflüge sichern könne. Bush läuft auch hier Gefahr, die Initiative zu verlieren. Der Mann ist überfordert.

Um so konsequenter will er jetzt losschlagen, das Militär in Bewegung setzen, in die Offensive kommen. Und er will dabei möglichst wenig Fehler machen. Es ist die schwerwiegendste Entscheidung seines Lebens. Nicht nur seines Lebens.

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