Ist die Zivilgesellschaft zivil?

Im Berliner Haus der Kulturen der Welt diskutierte die Kulturprominenz über die Diskreditierung des Islam, heilige Gotteskrieger und den Burgfriedenkanzler

Die Berliner Senatorin für Wissenschaft, Forschung und Kultur, Adrienne Goehler, hatte geladen. Ihr Anliegen: auch in diesen emotional aufgeladenen Zeiten Differenzierung und kritische Auseinandersetzung aufrechtzuerhalten. Die große Bedrohung, so Goehler, sei die vorschnelle Herausbildung eines Sündenbocks, die eine ganze Religon, konkret den Islam, diskreditiere.

Die vereinfachende Sprache der Medien und die suggestive Kraft der Fernsehbilder verklärten den freien Blick, meinte gleich zu Beginn der Veranstaltung im Haus der Kulturen der Welt die Schriftstellerin Ulrike Draesner. In einer Situration, die durch Schock, Hilflosigkeit und das Fehlen identifizierbarer Täter gekennzeichnet sei, werde die gesamte islamische Welt schnell zum „Sumpf, der ausgetrocknet werden muss“, sponn der Sozialwissenschaftler Werner Schiffauer den Gedanken Draesners weiter. „Sollen 1,3 Milliarden Muslime weltweit klammheimliche Unterstützer sein?“, fragte der Islamwissenschaftler Peter Heine weiter. Mit der Globalisierung hätten sich zwar auch die Konflikte dieser Region über die ganze Welt ausgebreitet, doch würden Auseinandersetzungen, die den Westen nicht direkt beträfen, allzu schnell ausgeblendet. Kein Wunder, dass man seinen Vertretern Arrgoganz und Selbstgerechtigkeit vorwerfe.

Im Publikum wurde darauf heftig reagiert und in erregten Monologen die Dominanz, Ausbeutungs- und Zerstörungspraktiken der US-Politik, von Chile, über Vietnam bis zum Golfkrieg, kritisiert. Was den weit gereisten Schriftsteller Hans Christoph Buch wiederum zur Publikumsbeschimpfung veranlasste. Er wolle sich mit dieser Art von Populismus nicht gemein machen, erklärte er. Er verstehe nicht, warum man in einer Sitution der Trauer und des Entsetzens schon wieder nach der Legitimation der Täter frage. Und im Übrigen dürften Amerikaner genauso emotional reagieren wie Palästinenser, die man hier verteidige. Das sei unbenommen, konterte Draesner, aber in der Veranstaltung ginge es ja um Verantwortung im Zusammenleben der Kulturen, vor allem um die Verantwortung der Politk, die keine Emotionen schüren dürfe.

Auch der Historiker Wolfgang Benz sieht momentan die Notwendigkeit, „das bisschen Toleranz gegen unsere Politiker zu verteidigen, die diese mit ihrer Nibelungentreue zu vergessen scheinen“. Im Übrigen hadere er mit dem Begriff „unserer Zivilisation“, in deren Namen auf allen Erdteilen massenhaft getötet worden sei. Die Kriegserklärung gegen einen noch unbekannten Feind „in der Attitüde des Burgfriedenkanzlers zur Verteidigung der Zivilisation“ teile in Gut und Böse ein und mache keinen Dialog mehr möglich. Mit dieser pauschalen Bewertung werde die Toleranz nachhaltig beschädigt zugunsten einer inneren und äußeren Aufrüstung.

Der Präsident der Berliner Akademie der Künste, György Konrád, findet die Gegenüberstellung von Barbarei und Zivilisation ohnehin keine intellektuelle Herausforderung, sondern schlicht „blöde“. Er beschwor humanistische Werte, die auch in anderen Kulturen gelten, und fügte hinzu: „Ich hasse heilige Kämpfer und ich mag auch nicht die Intellektuellen, die sie verteidigen.“ Trotzdem, so der Präsident der Akademie der Wissenschaft, Dieter Simon, stelle sich die Frage: „Was ist der Boden, auf dem der Terrorismus entsteht? Der Konflikt zwischen Arm und Reich?“ Die Frage blieb wie so vieles andere in der Veranstaltung offen. EDITH KRESTA