: Meinung und nichts als die Meinung
Die Schriftstellerin Susan Sontag wollte an der American Academy nur aus ihrem letzten Roman „In America“ vorlesen. Doch dann hat sie die mediale Mobilisierung beim „Krieg gegen Amerika“ zu einer Polemik gegen die „Verdummung“ gezwungen
von HARALD FRICKE
Von der Katastrophe hat sie keine klare Vorstellung. Deshalb ist sie wütend, dass seit Dienstag das Telefon unentwegt klingelt. Die Schriftstellerin und Kulturtheoretikerin Susan Sontag ist derzeit Gast der American Academy in Berlin und mag es nicht, wenn man sie als „Meinungsmaschine“ konsultiert: Hillary Clinton, die Rezession, was in Algerien passiert und jetzt die Situation in USA.
Trotzdem weiß auch Sontag, dass ihre Antworten auf solche Fragen ankommen. Sie hat PEN-Apelle für den iranischen Schriftsteller Faradsch Sarkuhi unterschrieben, als er in Teheran festgenommen wurde. Sie hat sich mit Taslima Nasrin und Salman Rushdie solidarisiert. Sie hat 1993 „Warten auf Godot“ am Theater in Sarajevo spielen lassen, um gegen den Balkankrieg zu demonstrieren. Darüber hat auch das Fernsehen Bilder gesendet, als kulturelles Highlight in der Kriegsberichterstattung.
Nun ist sie empört, weil man von ihr wissen will, was in New York geschieht – obwohl „ich in der 24th Street lebe“, wie sie sagt, weit weg vom World Trade Center, und weil sie die News auch „nicht aus erster Hand kennt“. Genützt hat es wenig: Am Ende war der Text für den New Yorker Donnerstagabend fertig. Warum also nicht vorlesen, was einem durch den Kopf geht, zwei Tage nach dem Unglück? Immerhin sind viele Gäste zu der Lesung aus ihrem letzten Roman „In America“ in die Academy-Villa an den Wannsee gekommen. Vor allem Amerikaner, aber auch Sigrid Löffler, der greise Nikolaus Sombart und Christoph Stölzl, der große alte Mann der Berliner Kulturpolitik.
Als sie am Pult steht, spürt man das Unbehagen am Text: „Er hat kein sonderlich hohes Niveau, was das Schreiben angeht, er moralisiert, er schießt vielleicht über das Ziel hinaus, und er ist übertrieben“, sagt sie etwas unwirsch und streift sich dabei die dunklen Haare aus dem Gesicht. Wenig später merkt man, dass er vor allem eines ist: Meinung und nichts als die Meinung. Aber hier kommt sie aus einer ganz anderen Richtung.
Denn die Kritik ist vernichtend, polemisch, und sie ist gegen Amerika gerichtet. Keine Zeitung hätte diesen Furor gedruckt, im Eifer des Gefechts. Ob er im New Yorker erscheint, wird sich nächste Woche zeigen.
Sontag geht es darum, wie sehr sich Medien, Regierung und vor allem Präsident Bush nach dem Attentat von der Wirklichkeit losgelöst haben. Der Einzige, der noch etwas Realitätssinn im Unglück bewahrt habe, sei New Yorks Bürgermeister Rudolph Giuliani gewesen – und das gäbe schon genug zu denken. Für den Rest gelte dagegen, dass er sich auf eine Kampagne festgelegt habe, „die die Öffentlichkeit nur noch dümmer erscheinen lässt“.
Für Sontag hat dieses Dilemma bereits mit der Sprachregelung angefangen. „Warum redet Bush ständig von feigen Attentätern?“, fragt sie sichtlich gereizt. Sind nicht eher jene US-Militärs feige, die aus High-Tech-Kampfjets „hoch oben aus der Luft“ computergesteuert Bomben und Raketen auf abstrakte, grafische Ziele feuern lassen? „Nein“, sagt sie, „feige sind gerade die Selbstmordattentäter nicht gewesen.“
Doch der spirit ist unbroken, das amerikanische Denken bleibt von diesem Widerspruch völlig unberührt. Statt sich Sorgen über den Zustand seines Landes zu machen, so Sontag, würde sich Bush der Öffentlichkeit als „robotic president“ zeigen, der von Bestrafung spricht. Ansonsten könne er auch bloß wiederholen, „dass die Welt hinter ihm steht“. Um die Opfer gehe es in seiner Politik längst nicht mehr: „Niemand sieht, was den Menschen passiert ist“, beklagt Sontag und meint damit auch die seit Tagen gleiche Berichterstattung auf CNN, die das Grauen mittlerweile in ein 24-Stunden-Format gebracht hat, das kein Blut zeigt und keine Toten. Nicht das Fehlen solcher Bilder regt Sontag auf, sondern die Penetranz der allzu unpersönlichen Images aus Staub und Stein, zu denen „viel zu spät“ erst konkretere Zahlen über Tote und Vermisste hinzugekommen seien.
Soll damit schon „everything okay“ sein, fragt Sontag – und man weiß, es geht weiter im Text. Denn die Folgen sind genauso unklar. Zwar wird bereits erklärt, dass Amerika sich im Krieg befinde – aber was diese Drohung an Konsequenzen für einen „Koloss wie das CIA“ und die Arbeit des FBI hat, davon werde offiziell kaum gesprochen. Wo es aber allein um „military responses“ geht, sieht Sontag „die Last der Realität“ verschwinden, die die US-Regierung der Öffentlichkeit und damit auch der Bevölkerung offenbar nicht mehr zutraut. Zwei Tage nach dem Unglück dominiert allein der Apparat – doch kann er so den Konflikt lösen?
Auch Sontag hat kein Heilmittel: „Lasst uns zusammen trauern, aber lasst uns nicht gemeinsam verdummen“, das klingt auch nur wie eine vage, wenig politische Beschwörung von Solidarität. In einem Punkt hat sie dennoch Recht: „Wer würde bezweifeln, dass Amerika stark ist?“ Jede andere Äußerung, die in den vergangenen Tagen tausendfach zu hören war, ist im Grunde eine Verhöhnung der tatsächlich Schwachen, die womöglich in Afghanistan, Irak oder anderen muslimischen Ländern schon seit Mittwoch vor dem Vergeltungsschlag zittern. Als ihre Rede zu Ende ist, schaut Sontag ins Publikum. Niemand regt sich, keiner widerspricht. Sie überlegt kurz, dann sagt sie: „Vielleicht habe ich ja bei Ihnen offene Türen eingerannt – oder Sie sind überhaupt nicht meiner Meinung. Das ist dann auch okay, so ist Demokratie.“
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