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Bomben werden uns nicht helfen

Die Anhänger von Ussama Bin Laden agieren wie ein multinationaler Konzern. Man kann ihre Aktivitäten mit militärischen Mitteln nicht stoppen

von DOMINIC JOHNSONund BETTINA GAUS

Sabena-Flug SN 865 von Ruandas Hauptstadt Kigali nach Brüssel dauerte diesmal länger als üblich. Die Anschläge in den USA lagen erst wenige Stunden zurück. Gegen Ende des ungewöhnlich langen Zwischenstopps in Nairobi geleiteten Angehörige eines privaten Sicherheitsdienstes schließlich einige gerade erst zugestiegene Passagiere wieder hinaus. Es waren zwei teilverschleierte Frauen und ein Mann, offenbar Somalis.

Somalis den Flug aus Kenia nach Belgien zu verweigern, weil mutmaßliche Islamisten mit Basen in Afghanistan soeben die USA angegriffen hatten, war eine ebenso hilflose wie nachvollziehbare Reaktion. Es gibt keinen Beweis dafür, dass Somalia etwas mit den Anschlägen zu tun haben könnte, außer dass Anhänger von Ussama Bin Laden dort in der Vergangenheit aktiv gewesen sind. Doch Somalia ist seit zehn Jahren ein Territorium ohne staatliche Infrastruktur, dafür mit hervorragender Mobilkommunikation, ein Tummelplatz von Islamisten und eine Drehscheibe des illegalen Waffenhandels.

Staaten ohne Struktur

Es ist einerseits ein großer Fortschritt, dass bei der Debatte über eine angemessene Reaktion auf die Terrorangriffe in den USA heute nicht von „Schurkenstaaten“ gesprochen wird und kein ausländischer Staatschef zum Abschuss freigegeben ist. Andererseits ist genau dies das Dilemma: Der mutmaßliche Gegner der „zivilisierten Welt“ steht nicht auf einem definierten Territorium. Er ist nicht als Staat zu fassen und nicht als Politiker zu identifizieren. Die Anhänger von Ussama Bin Laden agieren nicht wie eine politische Organisation, sondern wie ein multinationaler Konzern. Man kann ihre Aktivitäten genauso wenig mit militärischen Mitteln stoppen wie den weltweiten Devisenhandel.

Und genau wie die Weltwirtschaft von der Existenz von Steueroasen profitiert, genauso nutzen radikale Islamisten das Vorhandensein so genannter failed states, also als Staaten anerkannte Flächen, in denen keine staatlichen Strukturen reale Macht ausüben. Afghanistan und Somalia sind die bekanntesten, aber nicht die einzigen Gebiete für Kräfte, die außerhalb politischer Kontrolle agieren möchten. Lange haben die Industriestaaten geglaubt, dass sie von diesen Entwicklungen nicht unmittelbar berührt wären, solange ihr Zugang zu Ressourcen gesichert war. Sie haben sich geirrt. Wir sind eine Welt.

Jahrelang war dieser Satz vor allem als humanitärer Appell gemeint. Viele derjenigen in den Industriestaaten, die mehr Geld für die Dritte Welt oder Gerechtigkeit für die politisch Ohnmächtigen fordern, hielten die Forderung, die Nöte des Südens nicht aus den Augen zu verlieren, irrtümlich vor allem für eine Kategorie der politischen Moral.

Eigentlich hätte es nicht der Anschläge von New York und Washington bedurft, um den Glauben an eine geteilte Welt mit Europa und Nordamerika als Insel der Seligen als fatale Fehleinschätzung zu entlarven. Dass Nigeria mit seiner mächtigen Elite aus muslimischen Geschäftsleuten und Militärs als Drehscheibe des Uranschmuggels gilt, dass US-Experten bis heute in der Demokratischen Republik Kongo nach dem Verbleib spaltbaren Materials aus einem Forschungsreaktor der Mobutu-Ära fahnden – das sind nur zwei von vielen Hinweisen darauf, wie leicht man inzwischen in armen Staaten in den Besitz der Bauteile von Massenvernichtungswaffen gelangen kann. Andere Alarmsignale sind viel unauffälliger, scheinen zunächst von ausschließlich regionaler Bedeutung zu sein und werden entsprechend wenig beachtet.

Ein Beispiel: Es ist nicht endgültig bewiesen, wird aber von zahlreichen Beobachtern für hochwahrscheinlich gehalten, dass somalische Kriegsfürsten sich Geld mit der heimlichen Abnahme von Giftmüll aus Industrieländern beschafft haben. Die Folgen einer unsachgemäßen Lagerung solcher Stoffe lassen sich nicht abschätzen – umso weniger, als genauere Informationen aus einer Region nicht zu erhalten sind, die als Staat mit der entsprechenden Infrastruktur zu existieren aufgehört hat.

Oder: Bis heute gibt es Länder, in denen der Umgang mit Bio-und Gentechnologie nicht gesetzlich geregelt ist. Während Wissenschaftler und Politiker in den führenden Industrienationen über ethische Grenzen des Machbaren streiten, weiß niemand, was in Forschungslabors an entlegenen Orten der Welt geschieht, außer wenn zuweilen Nachrichten über ungeklärte Todesfälle infolge von Medikamentenversuchen in Afrika an die Öffentlichkeit dringen. Meint jemand, komplexe Vorgänge wie Klonen könnten nur in berühmten Forschungszentren stattfinden? Wenn sich da mal bloß niemand täuscht.

Was hat das Verhältnis der Industriestaaten zum Rest der Welt mit den Anschlägen in den USA zu tun? Wer allein schon in dieser Frage eine mögliche Rechtfertigung der Taten vermutet, erlegt sich Denkverbote auf, die gefährlich sein können. Armut und Staatszerfall sind ein hervorragender Nährboden für finstere Geschäftspraktiken oder eben auch die Vorbereitung von Terroranschlägen. Die Verantwortlichen dafür sind keine politischen Vertreter der Machtlosen und Entrechteten, sondern sie agieren auf deren Rücken und machen sich deren Elend zunutze. Ussama Bin Laden ist kein Befreiungskämpfer. Er ist ein schwerreicher, global agierender Kapitalist. Das hindert ihn nicht daran, das symbolische Herz des Kapitalismus anzugreifen. Ein Widerspruch ist das nur, wenn man davon ausgeht, dass die Anschläge ein Ziel hatten, das über sie selbst hinausweist. Aber es gibt keine Bekennerschreiben und keine Forderungen. Der Schrecken als solcher hat den Attentätern gereicht.

Die Motive erkennen

„Wir brauchen politische Dolmetscher, die in der Lage sind, die blutigen Zeichen zu deuten“, hat der SPD-Politiker Gernot Erler gesagt. Richtig. Es geht darum, die Motive der Täter kennenzulernen und die Entstehungsumstände ihrer Taten zu begreifen. Das wäre zwar weniger spektakulär, dürfte langfristig aber vielversprechender sein als alle Militärschläge.

Samuel Huntington, dessen These von der Unausweichlichkeit des Kampfes der Kulturen zu Recht kritsiert worden ist, hat in einem viel weniger beachteten Punkt seiner Analyse recht: Allzu lange ist der Wunsch nach westlichem Wohlstand mit einer Akzeptanz des westlichen Wertesystems verwechselt worden. Nicht alle, die gerne einen Kühlschrank und ein Auto haben wollen, halten zugleich religiöse und politische Toleranz für erstrebenswert. Wir werden diese Tatsache nicht aus der Welt bomben können.

Warum und wo genau hat sich die Stimmung nun dahingehend verändert, dass auch nicht mehr vor Taten zurückgeschreckt wird, die bis vor kurzem als unvorstellbar galten, obwohl sie seit langem theoretisch möglich gewesen wären? Mit dieser Frage werden wir uns auseinander zu setzen haben. Verstärkte Sicherheitskontrollen an Flughäfen genügen nicht.

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